Die Lutherverschwörung
ich dich um deine Hilfe anflehen muss .
»Und so bitte ich Eure geheiligte Majestät, Eure durchlauchtigsten Herrlichkeiten und jedermann, der es vermag, vom höchsten und niedersten Stand, um der Barmherzigkeit Gottes willen: Bringt Zeugnis, überführt mich des Irrtums mit den prophetischen und evangelischen Schriften, denn wenn man mich eines Besseren belehrt, so bin ich freudig bereit, jeden Irrtum zu widerrufen und will der Erste sein, der meine Schriften ins Feuer wirft.«
Jost konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, denn Luthers Dreistigkeit bereitete ihm zunehmend Freude. Gerade forderte er genau das ein, was ihm seine Gegner verwehrten: eine theologische Disputation. Und auf diesem Gebiet – das war sicher – würde niemand in der Lage sein, Luther zu widerlegen. Das hatten schon andere erfolglos versucht.
»Und damit befehle ich mich Eurer geheiligten Majestät und Euren Herrlichkeiten und bitte demütig, mich nicht wegen der Bemühungen meiner Widersacher grundlos in Ungnade fallen zu lassen. Ich bin zu Ende.«
Wie schon zuvor der kaiserliche Offizial, so wiederholte nun auch Luther seine Rede auf Lateinisch.
Du weißt, wie wichtig es ist, diesen Ketzer, der nicht nur deinen Namen, sondern den aller Heiligen in den Schmutz zieht, öffentlich abzustrafen, sein Schlangenhaupt zu zertreten vor den Augen der weltlichen Macht, und wenn dies dein Wille ist, so vertreibe endlich die verdammten Wolken und lass die Sonne hell und leuchtend vom Himmel scheinen, ehe es zu spät ist, und sorge dafür, dass sie die Fenster wieder öffnen, denn im Moment kann ich nichts, aber auch gar nichts von dem erkennen, was dort drüben vor sich geht …
Der letzte Satz war ein wenig unsinnig, denn Wulf betete wie üblich mit geschlossenen Augen. Aber das war ihm egal, denn in einem Gebet ging es nicht um Logik, sondern um Innigkeit. Noch eine ganze Weile verharrte er in Andacht. Schließlich öffnete er die Augen und schaute hinaus: Der Platzregen war vorüber, ihm folgte ein feiner, milder Frühlingsregen, wie Wulf ihn zu anderen Zeiten liebte. Jenseits der Stadtmauer, wo sich vor kurzem die schwarzen Wolken zusammengeballt hatten, lichtete sich der Himmel. Auch die Sonne brach wieder hervor, er sah sie zwar selbst nicht, aber ihre Strahlen beleuchteten die Turmspitzen des Doms, und auf einigen Dächern warfen die Schornsteine lange Schatten. In der Ferne zeigte sich ein Regenbogen, ein gutes Zeichen, wie Wulf fand. Stand der Regenbogen nicht für das Bündnis zwischen Gott und Mensch?
Es fiel Jost schwer, der Rede des kaiserlichen Offizials zu folgen, auch wenn er sich drastisch ausdrückte und immer wieder seine Wut durchschimmerte, die er kaum unter Kontrolle hielt. Er warf Luther Leidenschaftlichkeit und Unbescheidenheit vor, die Dreiteilung der Bücher sei ungenügend. »Du hältst es wie alle Ketzer, Martinus, die behaupten, sie seien bereit, sich aus der Heiligen Schrift widerlegen zu lassen. Das wäre ja schön und gut! Aber wie alle Ketzer willst du die Heilige Schrift nach deiner Auffassung und deinem Kopf verstanden wissen. Du bist nicht besser als die Waldenser, die Armen von Lyon, Wyclif oder Hus. Was werden die Juden sagen, wenn sie das hören? Und die Türken, die Sarazenen und andere Feinde unseres Glaubens? Wie würden sie lachen, wie würden sie spotten: Jetzt fangen die Christen an zu disputieren, ob ihr Glaube bisher recht war!«
Luther stand noch immer in der Mitte des Saals und zeigte keine Reaktion. Ob er vielleicht an das Schicksal der gerade erwähnten Ketzer dachte? Zum hundertsten Mal hob Jost den Kopf und schaute zur Empore. Die Fenster waren geschlossen, aber der Regen prasselte nicht mehr, und es wurde wieder heller im Saal.
»Ich bitte dich, Martinus, maße dir doch nicht an, dass einzig du das Verständnis der Heiligen Schrift besitzt, nur du ihren wahren Sinn erfasst, dem die heiligen Doktoren der Schriftauslegung Tag und Nacht mit Schweiß und vieler Arbeit nachgetrachtet haben. Setze dich nicht in deinem Urteil über so viele berühmte Männer hinweg. Glaube nicht, mehr zu wissen als alle anderen!«
Erneut schloss Wulf die Augen und betete still für sich. Als er sie wieder öffnete, fühlte er sich einmal mehr in seinem Glauben an die Schwarze Jungfrau bestätigt. Denn zumindest über der Stadt waren die Wolken wie weggefegt. So etwas war nur durch ein Wunder zu erklären, selbst wenn man die Launenhaftigkeit eines Apriltages in Rechnung zog. Die Sonne schien mit aller Kraft,
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