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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Born
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Luther. »Einmal, an einem grauen und verregneten Tag, der Wind blies wahre Bäche gegen die kleinen Butzenglasfenster, saß ich bei Kerzenlicht am Tisch und blätterte in der Vulgata, las hier und da ein paar Zeilen. Ich war im Neuen Testament gelandet, bei der Bergpredigt. Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich einen lateinischen Text lese oder einen deutschen, ich fühle mich in beiden Sprachen zu Hause. Was für ein Jammer, dachte ich, dass die meisten Menschen nie in den Genuss kommen, selbst die Heilige Schrift zu lesen, weil sie kein Latein können. Aus dem Stegreif, ohne irgendwelche Hilfsmittel, dolmetschte ich die gesamte Bergpredigt ins Deutsche.
    Damals gab es auf der Wartburg einen Hauptmann, dem der Schutz der Burg oblag; wir verstanden uns gut. Er fragte mich beim Abendessen, womit ich meine Zeit verbracht hätte, und ich las ihm meine Übersetzung vor. Als ich fertig war, sah ich zu meiner Verblüffung Tränen in den Augen dieses hartgesottenen Soldaten. Er umarmte mich und küsste mich auf beide Wangen. Das, sagte er, sei mehr wert als ein Jahr lang dem Geschwätz der Pfaffen zu lauschen. Sein ganzes Leben lang habe man ihn aus einem abgestandenen Tümpel trinken lassen, hier aber sei die Quelle selbst. Nie habe er sich der Wahrheit so nahe gefühlt wie gerade eben.
    In der Nacht lag ich wach, irgendwo jaulte ein Tier. Die Wartburg liegt sehr abgelegen in einer waldreichen, hügeligen Gegend, dort fühlt man sich wirklich wie von der Menschheit abgeschieden. In dieser Einsamkeit wird man auf sich selbst zurückverwiesen und auf das Gespräch mit Gott. Wenn dieser einfache Soldat, überlegte ich, dermaßen Gefallen findet an Gottes unverfälschtem Wort, dann muss es im Volk ein großes Bedürfnis geben nach einer deutschen Bibel.
    Ich korrespondierte darüber mit meinem Freund und Weggefährten Philipp Melanchthon. Der bestärkte mich in meiner Ansicht. Von da an gab es für mich kein Halten mehr. Ich arbeitete Tag und Nacht wie im Rausch. Innerhalb weniger Wochen übersetzte ich – mit eigentlich unzureichenden Hilfsmitteln – das gesamte Neue Testament. Und mein Freund Lucas Cranach steuerte wertvolle Holzschnitte bei. Das geschah ziemlich genau vor zehn Jahren, und so fing alles an …«
    Anna fasste Jost bei der Hand und schaute zum Himmel, dort sah man Zugvögel auf ihrem langen Weg in den Süden; manchmal schienen sie geometrische Figuren zu formen, wirkten flächig, wie eine Ellipse oder ein Kreis, verwandelten sich dann in ein räumliches Gebilde, eine Kugel, hunderte oder tausende flatternde Wesen, die sich zusammenballten, ins Diffuse auflösten, dann wieder sich aufbauschten wie ein Segel im Wind. Sie füllten den weiten Himmel, der ohne sie leer, ein Nichts gewesen wäre. Und in diesem Augenblick schien es ihr, als sei das ein Bild für ihr Leben, für ihre Wanderungen, für das Flüchtige, sich Wandelnde – für die ewige Metamorphose.

ZU DIESEM BUCH
    Am Ende eines historischen Romans möchten viele Leser gern wissen, welche Ereignisse historisch verbürgt und welche erfunden sind. Darauf gibt es nicht in jedem Fall eine eindeutige Antwort, denn selbst unter Historikern sind viele Fragen, die Martin Luther betreffen, umstritten oder befinden sich in einer Grauzone zwischen Mythos und historischer Wirklichkeit. Legenden sind entstanden, teils von Freunden, teils auch von Feinden in Umlauf gebracht.
    In unserer Zeit gehören Attentate auf Politiker und religiöse Führer fast zum Alltag. Die Morde an John F. Kennedy und Martin Luther King, um nur zwei Beispiele aus den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts zu nennen, erschütterten die Welt. Von einem Mordanschlag auf Martin Luther wissen die Geschichtsbücher nichts. Trotzdem scheint mir der Gedanke nicht abwegig. Er hatte so viele Gegner – ja wirkliche Todfeinde –, dass es Pläne, wie man ihn aus dem Weg schaffen könnte, gegeben haben muss!
    Die Zeit, in der Martin Luther lebte und die er selbst mitprägte, war reich an dramatischen Umbrüchen. Die Erfindung der Druckkunst, die Entdeckung Amerikas und die Entwicklung des heliozentrischen Weltbildes durch Kopernikus lagen noch nicht lange zurück.
    Ein junger Kaiser war gerade an die Macht gekommen, der Habsburger Karl V., in dessen riesigem Reich, so sagte man, die Sonne nie unterging. Bevor er Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurde, war er bereits König in Spanien. So kam es, dass er im Laufe seines Lebens mehrere Sprachen erlernte. Man sagt ihm folgenden Spruch

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