Die Maechtigen
draufgängerisches Mädchen, das es mit dem Schläger in der siebten Klasse aufnimmt, sondern die erwachsene Clementine. Die wirkliche Clementine. Die das Fürchten gelernt hat.
»Ich sollte jetzt gehen. Ich höre mich nicht gerne jammern«, sagt sie und gewinnt ihre Ausgeglichenheit wieder, als ich die Metalltür öffne, wir die Bücherregale hinter uns lassen und in den hellblauen Gang hinaustreten. Sie versucht, sich zu verstecken. Ich weiß, wie das ist. Ich habe es im gesamten letzten Jahr meines Lebens versucht.
»Geh nicht!«, platzt es aus mir heraus. Rasch senke ich meine Stimme. »Es gibt kein … sie haben gesagt, dass sie das Ergebnis innerhalb einer Stunde hätten und … und … es gibt hier so viel zu sehen … wenn du möchtest.« Ich beiße mir auf die Lippe, damit ich nicht weiterplappere. Es bringt nichts. »Hör zu, es fällt mir nicht leicht«, füge ich hinzu. »Aber wenn du wirklich willst, können wir den Kaufvertrag von Louisian heraussuchen und deine Unterschrift darauf setzen, ›Clementine Rulz‹ .«
Sie lächelt müde. »Ich habe bereits auf der Verfassungsurkunde unterschrieben.«
»Gut, du hast gewonnen.« Plötzlich bleibe ich mitten im Gang stehen und lehne mich gegen die Marmorwand. »Du möchtest doch gerne den Präsidenten sehen? Also gut, ich bring dich zum Präsidenten.«
Das überrascht sie. »Du kennst den Präsidenten doch gar nicht.«
»Vielleicht nicht. Aber ich weiß, welchen Raum er nutzt, wenn er hier liest.«
»Wirklich?«
»Klar. Also, willst du ihn sehen?«
Sie richtet sich auf und krümmt ihren Unterarm, so dass ihre Armreifen vom Handgelenk über den Ellenbogen zu ihrer Narbe rutschen. »Ist das weit von hier, oder …?«
»Genaugenommen stehst du genau davor.«
Ich deutete über ihre Schulter. Sie dreht sich zu der Metalltür um, die in derselben Farbe wie der hellblaue Gang gestrichen ist. Sie ist leicht zu übersehen, was natürlich beabsichtigt ist. Nur das quadratische Glasfenster ragt ein wenig hervor. Normalerweise kann man dadurch einen Blick in den Raum werfen, aber jetzt ist es durch einen schwarzen Stoff verdeckt. Neben dem Türgriff befindet sich ein rundes Kombinationsschloss, wie von einem Safe.
» Das ist es?«, erkundigt sich Clementine. »Sieht aus wie mein alter Spind in der Turnhalle.«
Ich schüttele den Kopf. »SCIFs sind viel sicherer als Turnhallenschränke.«
»Wie nennst du das? Skiff?« Sie kichert.
» SCIF bedeutet Sensitive Compartmented Information Facility «, erkläre ich und klopfe mit dem Knöchel meines Fingers gegen die Tür, höre aber nur ein tiefes Geräusch, aus dem ich schließen kann, wie dick die Tür wirklich ist. »Hast du gedacht, du könntest einfach ein als geheim eingestuftes Dokument auf deinen Schreibtisch legen, öffnen und lesen, wann immer du willst? Du wirst dabei ständig kontrolliert, durchs Fenster, über Mikrofone und Videowanzen. Big Brother allein reicht uns nicht mehr. In allen Regierungsstellen gibt es dafür spezielle Räume, die vom CIA gebaut und überprüft werden.«
»Skiffs«, sagt sie.
»SCIFs. Die Wände sind mit zentimeterstarken Stahlplatten verkleidet. Zwanzig Zentimeter starke Metallplatten schirmen Fußboden und Decke gegen Lauschangriffe ab, sie haben keine Fenster, Kupferfolie in den Ecken, um jede Übermittlung zu verhindern, Gitterstäbe vor den Lüftungsschächten, durch die selbst Tom Cruise nicht durchkäme …«
»Und so einen SCIF habt ihr hier auch?«
»Machst du Witze? Unsere Politiker haben allein sechzehn Stück davon. Jedes größere Gebäude in Washington, das Weiße Haus, das Capitol, jedes Gebäude des Senates oder des Repräsentantenhauses, hat so einen Raum. Und wenn man eine wichtige Person im Haus hat, kriegt man auch einen SCIF. Die ganz wichtigen Leute haben sogar einen zu Hause. Winzige Kämmerchen, in denen sie ungestört die bedeutendsten Geheimnisse dieser Welt schmökern können.«
»Können wir mal einen Blick hineinwerfen?« Sie klopft mit dem Finger an die Tür.
Ich lache, etwas zu laut, vielleicht.
Sie lacht überhaupt nicht. Sie will auch nicht herumschnüffeln. Sie hat einfach nur eine ernsthafte Frage gestellt.
»Wenn du das nicht darfst, macht das auch nichts«, fügt sie hinzu.
»Nein, ich kann. Es ist nur …«
»Beecher, kein Grund, gestresst zu sein. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.«
»Nein, das hast du auch nicht.«
»Lass uns erst die anderen Sachen erledigen«, erklärt sie und macht Anstalten,
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