Die Maechtigen
weiß ganz genau, dass ich die ganze Sache schon vor zehn Minuten beendet hätte, wäre Iris bei mir gewesen.
»Halt das mal kurz.« Orlando will mir seinen Kaffeebecher in die Hand drücken, während er sich an dem Schloss zu schaffen macht.
»Im SCIF sind Getränke und Lebensmittel verboten«, erinnere ich ihn und weigere mich, den Becher zu nehmen.
»Ach wirklich, solche Vorschriften gibt es hier, Beecher?«, erwidert er. Bevor ich antworten kann, gibt er Clementine den Becher mit Kaffee und dreht ein paar Mal das Rad des Zahlenschlosses.
Mit einem leisen Klick und einem folgenden tiefen Klacken öffnet sich die Tür wie ein Safe.
Selbst Orlando ist vorsichtig. Er schiebt den Kopf hinein und überzeugt sich zuerst, dass sich niemand in dem Raum aufhält.
Auch ich stehe schon auf den Zehenspitzen und spähe über Orlandos Schulter hinweg in den Raum, um mich zu vergewissern, dass die Luft rein ist.
Clementine dagegen benimmt sich anders. Sie hat es nicht eilig, scheint nicht einmal besonders erpicht darauf zu sein, aber sie betritt die Kammer mit einem schnellen, sicheren Schritt, ohne eine Spur von Angst zu zeigen. Das macht mich noch mehr an als ihre Einladung, mir ihren Busen anzuschauen.
»Dies hier ist unser kleines Oval Office«, fügt Orlando hinzu und bewegt dabei die Hände wie ein Steward im Flugzeug, der auf die Notausgänge zeigt. Anders jedoch als das elegante, wunderschön ausgestattete Oval Office gibt es in diesem kleinen fensterlosen Raum vor allem beige, beige und nochmals beige. Und in der Mitte einen großen Eichentisch mit einem abhörsicheren Telefon und davor zwei einfache Holzstühle.
Die meisten Mitarbeiter sagen bei ihrem ersten Besuch: »Das ist alles?«
Clementine dagegen geht um den Tisch herum und betrachtet die beigefarbenen Wände, als wären es Gemälde von Picasso. »Das Poster gefällt mir«, erklärt sie schließlich.
An der Metalltür hinter mir ist ein Poster befestigt, auf dem ein dampfender Becher mit Kaffee zu sehen ist sowie eine Warnung in roten Buchstaben:
Bei einem Schluck davon können viele Informationen ausgeplaudert werden. Achten Sie darauf, dass Ihre Unterhaltung bis zum letzten Tropfen sicher ist.
Als ich diese Worte lese, erinnere ich mich sofort …
Unsinn. Es ist Orlandos Kaffee.
»Nein, nicht hier drin «, bitte ich Clementine fast flehentlich, als sie sich gerade hinsetzen und den Kaffeebecher auf den Tisch des Präsidenten stellen will. Wenn er umkippt …
Ich greife nach dem Becher, sie reißt den Arm herum, um ihn zu schützen. Mehr ist nicht nötig. Mit dem Handrücken streife ich den Styroporbecher, er kippt um, und die hellbraune Flüssigkeit spritzt über den Tisch in Richtung Clementine.
Dann ergießt sich ein Sturzbach von heißem Kaffee auf den glänzenden Fußboden und bildet dort einen kleinen Stausee.
Wir müssen das sofort beseitigen, bevor der Präsident hier …!
Clementine springt hastig auf, um dem Sturzbach zu entgehen, und stößt dabei mit den Beinen den Stuhl um.
»Orlando, hol sofort Papiertücher …!«, rufe ich und reiße mir den blauen Arbeitskittel herunter, um ihn als Wischtuch zu benutzen.
Der Holzstuhl landet krachend auf dem Boden …
… und dann ertönt ein eigenartiger, hohler Schlag.
Ich fahre herum. Aus der Unterseite der Sitzfläche ragt ein Stück Holz hervor, das, während ich zusehe, zu Boden fällt. In dem Loch werden die Umrisse eines versteckten Gegenstandes sichtbar.
Der Kaffee tropft immer noch vom Tisch auf das Linoleum, wenn auch etwas langsamer.
Mir schnürt sich die Kehle zusammen.
Jetzt erkenne ich den Gegenstand, der in dem kleinen Hohlraum im Stuhl versteckt war und jetzt auf dem Fußboden liegt, genau im Weg der sich ausbreitenden Kaffeepfütze. Es sieht wie eine kleine Aktenmappe aus.
»Beech?«, flüstert Orlando hinter mir.
»Ja?«
»Sag mir bitte, dass du keine Ahnung davon hattest, dass das da in dem Stuhl war.«
»Ich hatte keine Ahnung. Ich schwöre bei Gott.«
Orlando setzt den Kaffeebecher an und trinkt den Rest. Mein magischer Schlüssel brennt förmlich auf meiner Brust, und ich bin mir sicher, dass Orlando dasselbe denkt wie ich: Wenn das hier für den Präsidenten gedacht war oder schlimmer noch vom Präsidenten stammt …
»Beech?«, wiederholt er, während der verschüttete Kaffee langsam die Mappe aufweicht.
»Ja?«
»Wir sind erledigt.«
»Allerdings.«
4. Kapitel
Siebzehn Jahre zuvor
Sagamore, Wisconsin
Die junge Clementine Kaye lief
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