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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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verkaufte. Ihr Pflaumen-Prasselkuchen war im Dorf fast beliebter als die Brötchen meines Vaters.
    Mir wurde erst bewusst, wie viel ihm das Geschäft bedeutete, als ich eines Nachmittags von der Schule nach Hause kam und mein Vater mich zu sich auf die Terrasse rief. Er trug seinen abgewetzten Latzanzug, den er zum Missfallen meiner Mutter noch immer am liebsten hatte. Zwischen seinen Fingern glomm eine Karo .
    »Bist du glücklich, Kleines?«, fragte er mich.
    Unschlüssig blieb ich stehen. Einerseits wollte ich erfahren, weswegen mir mein Vater diese sonderbare Frage stellte. Andererseits war ich bereits etwas spät, da ich beim Pioniernachmittag gewesen war. Die hungrigen Schweine grunzten, und im Stall muhten die Kühe.
    »Also, was nun?« Er klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich. »Bist du …?«
    »Eduard!« Meine Mutter trat mit einer Schüssel frischgebackener Kekse zu uns auf die Terrasse. »Bedräng sie doch nicht.«
    »Wer bedrängt hier wen?« Mit einem Blick auf das Gebäck leckte Vater sich über die Lippen.
    »Keiner verlangt von dir, dass du sie isst«, sagte meine Mutter schmunzelnd.
    »Stimmt, aber zum Glück verlangt auch niemand, dass ich darauf verzichte«, entgegnete er und griff in die Schüssel.
    »Eduard!«
    Schnell drückte Vater mir die Kekse in die Hand. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Also ich hab’ nichts gemacht.«
    »Undischauchnischt«, brachte ich mit vollen Backen hervor.
    Meine Eltern wechselten einen Blick und brachen gleichzeitig in Gelächter aus. Noch heute bezweifle ich, wenn ich an Vater und Mutter denke, dass es je ein Paar gegeben hat, das besser zueinander passte. Ich ließ die Schweine grunzen und die Kühe muhen und setzte mich zu meinen Eltern auf die Bank, wo wir die noch warmen Plätzchen verdrückten.
    »Und was nun, bist du glücklich?«, fragte mich mein Vater schließlich erneut.
    Ich stopfte mir noch einen Keks in den Mund. »Jaklardaschbinisch!«
    »Gut, ich auch.« Er nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und strahlte über das ganze Gesicht.
    Ein Jahr war vergangen, seit wir das letzte Mal Dominosteine durch den Garten hatten klickern lassen. Ich glaube, mein Vater hatte damit aufgehört, weil er dachte, ich sei inzwischen zu alt dafür. Vermutlich war ich es tatsächlich. Doch solange wir gemeinsam Zeit auf der Terrasse verbrachten, uns unterhielten oder einfach nur Gebäck verzehrten und mich dabei hin und wieder der Dunst einer Karo umhüllte, war die Welt für mich in Ordnung.
    »Trotzdem habe ich einen Wunsch«, sagte Vater unvermittelt.
    Ich sah ihn überrascht an. Weil er nichts weiter sagte, glitt mein Blick zu meiner Mutter. Sie zuckte mit den Schultern. Ich schaute zurück zu meinem Vater.
    »Ich wünsche mir, dass du irgendwann einen netten Mann heiratest, der dich glücklich macht und mit dem du unsere Bäckerei fortführen wirst.«
    Fast hätte ich mich an meinem Keks verschluckt. Damals mochte ich vieles im Kopf gehabt haben, zum Beispiel Erste beim Sero-Schülerexpress zu werden. Die Vorbereitungen für das Ferienlager, das meine beste Freundin Regina und ich besuchen sollten. Oder unsere Picknicks, zu denen wir beide uns auf abgelegene, mit Moos bewachsene Uferlichtungen zurückzogen. Im Spreewald gab es unzählige davon − unsere Mädchenwiesen, wie wir sie nannten −, auf denen wir heimlich über all jene Dinge kicherten, über die junge Mädchen in dem Alter so kichern – Schule, Kleidung, Jungen, solche Dinge eben. Aber an Hochzeit dachte ich ganz bestimmt nicht. Der Gedanke lag mir so fern, er klang erwachsen und unglaublich alt.
    Erstaunlicherweise verhielt es sich mit der Bäckerei meines Vaters ganz anders. So jung ich damals auch war, diesbezüglich hatte ich durchaus schon konkrete Pläne.
    Ich ging meinen Eltern nicht nur bei den Tieren zur Hand, sondern jeden Morgen, bevor ich mit dem Fahrrad in die Schule fuhr, auch in der Backstube. So anstrengend es am heißen Ofen war, ich empfand die Arbeit nicht als Pflicht oder gar als Zwang. Natürlich sehnte ich mir einen Bruder oder eine Schwester herbei, mit dem oder der ich mir die vielen Aufgaben hätte teilen können. Aber dazu kam es leider nicht. Ich weiß nicht, warum, meine Eltern haben nie ein Wort darüber verloren. Über solche Dinge sprach man nun mal nicht zu jener Zeit, und erst recht nicht mit den Kindern.
    Stattdessen half mir Onkel Rudolf, wenn er mittags kurz bei uns vorbeischaute. Der Bruder meiner Mutter war wie sie schmächtig.

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