Die Mädchenwiese
Theis.«
Laura schraubte den Verschluss auf den Tetra Pak und räumte diesen in den Kühlschrank, ehe sie fragte: »Lisa hat dir gar nichts davon erzählt, richtig?«
Das Mädchen reagierte nicht. Laura hörte, wie Sam die Klospülung betätigte, und verspürte plötzlich den Drang, ebenfalls auf die Toilette zu gehen. »Carmen?«
»Es tut mir leid, Frau Theis, aber Lisa war am Wochenende nicht bei mir.«
»Ja, das hab’ ich verstanden. Aber wo war sie denn dann?«
»Das weiß ich nicht. Sie hat mir ja nicht einmal gesagt, dass sie Ihnen gesagt hat, dass sie am Wochenende bei mir schläft und …«
Als die Haustür krachend zufiel, fuhr Laura herum. Sam hatte das Haus verlassen. Die Sandwiches, die noch auf dem Tisch lagen, hatte er vergessen.
»Danke, Carmen.« Laura warf das Telefon auf die Anrichte, schnappte die Brote und rannte ihrem Sohn hinterher. »Sam!«
Er blieb im Vorgarten stehen. Durch das Gestrüpp sah Laura den Bus, der sie zur Arbeit hätte bringen sollen, an der Haltestelle vorfahren. »Hier, die hast du vergessen.« Rasch drückte sie ihrem Sohn die Sandwiches in die Hand. »Ach, und Sam, hast du eine Ahnung, wo Lisa am Wochenende war?«
Er senkte den Kopf.
»Sam, hast du?«
Er presste die Lippen aufeinander.
»Mensch, Sam!«, rief sie ungeduldig aus.
Er zuckte zusammen.
Augenblicklich bereute Laura ihre heftige Reaktion. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Bus anfuhr. »Sam, es tut mir leid.«
Er hielt den Blick gesenkt.
»Aber hat Lisa was zu dir gesagt?«
Er gab keinen Ton von sich.
Sie unterdrückte ein Seufzen. »Also weißt du nicht, wo sie ist?«
Sam schüttelte den Kopf. Laura zupfte ihrem Sohn den Pullover zurecht und strich ihm durch die Haare. »Dann mach dich auf den Weg, der nächste Bus fährt gleich.«
Wortlos schulterte er seinen Rucksack und schlurfte zur Haltestelle.
»Und denk dran«, rief sie ihm hinterher, »ich hab’ dich lieb.«
Er drehte sich nicht um. Laura verspürte ein Gefühl der Hilflosigkeit. Aus der offenen Haustür drang ein Handyläuten. Sie rannte in die Diele.
Alex tat es seinem Hund gleich, der auf den Planken am Bug lag. Er sank tief in seinen Klappstuhl und streckte die Beine von sich. Mit geschlossenen Augen lauschte er den Wellen, die gegen die Außenhaut der Endeavour schwappten.
Der Name täuschte. Der Kutter war im Gegensatz zu seinem berühmten Namenspatron nicht sehr groß und nicht einmal gut in Schuss. Er hatte einen Außenbordmotor und eine kleine Kajüte und bot gerade genug Platz für vier Männer und einen Hund, die einmal pro Woche zum Angeln in das Wasserlabyrinth der Spree schipperten.
Das idyllische Keckern und Zirpen, das von der Uferböschung an Alex’ Ohr drang, wurde vom Quietschen der Kajütentür gestört.
Norman setzte sich neben Alex und fragte: »Wie sieht’s aus?«
»Noch hat keiner angebissen.«
»Das meinte ich nicht.«
Alex blickte fragend in das gebräunte Gesicht seines Freundes. Norman hatte seinen Anzug abgelegt und trug nur Shorts. Sein Oberkörper war muskulös und ebenfalls von tiefbrauner Farbe.
»Wie ich gehört habe, hat sich Fielmeister’s Beste bei dir gemeldet«, sagte Norman.
»Ja, morgen ist Verköstigung.«
»Ehrlich? Glückwunsch!«
»Gratulier mir, sobald der Vertrag unterzeichnet ist.«
»Hast du Zweifel? Ich nicht, nicht bei deinen …«
»Nicht meine«, korrigierte Alex. »Die Gurken meiner Mutter.«
Alex hatte ein Rezept für Spreewaldgurken im Nachlass seiner Mutter gefunden. Seither zog er selbst Gurken im Garten, legte sie dem Rezept entsprechend ein und bot sie als Zwischenmahlzeit in der Elster an. Seine Stammgäste waren angetan von der eigenwilligen Kreation, die sich schließlich sogar bis nach Berlin herumgesprochen hatte. Mit Fielmeister’s Beste hatte ein großer Essensfabrikant, der seine Produktreihe um regionale Spezialitäten erweitern wollte, sein Interesse an dem Rezept bekundet.
»Wenn du dich morgen mit denen triffst, bleibt dann noch Zeit fürs Abendessen?«, fragte Norman.
»Klar, wenn Paul …«
»Was ist mit mir?«, tönte prompt dessen Stimme von achtern.
Alex bückte sich nach der Cola light, die zu seinen Füßen stand. »Du springst morgen Abend in der Elster ein, wie abgemacht, oder?«
»Klar, wie immer. Aber ich hab’ noch ’ne bessere Idee: Da du jetzt unter die Hersteller gehst, mach doch die Kneipe einfach dicht. Für immer.«
Alex seufzte.
»Hey, Mann«, rief Paul, »erzähl mir nicht, dass dir das gefällt, jeden Abend
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