Die Männer von Bravo Two Zero
während Chris seinem neuen Freund die Hand schüttelte.
Die Botschaft verständigte umgehend die
Hauptquartiere in High Wycombe und Riad und traf Vorkehrungen, daß Chris am nächsten Abend
ausgeflogen wurde. Es war die erste Nachricht über Bravo Two Zero seit Beginn unseres Einsatzes.
Chris hatte in den acht Nächten seiner Flucht insgesamt über 300 Kilometer zurückgelegt. In der ganzen Zeit hatte er außer zwei Packungen Kekse, die er sich mit Vince und Stan geteilt hatte, nichts gegessen und
praktisch nichts getrunken. Er hatte enorm an Gewicht 541
verloren und wohl nur deshalb überlebt, weil sich sein Organismus vom eigenen Fleisch ernährt hatte.
Es dauerte zwei Wochen, bis Chris wieder richtig
gehen konnte, und sechs Wochen, bis er wieder Gefühl in Zehen und Fingern hatte. Die Stelle, wo er das Wasser gefunden hatte, das ihm den Mund verbrannte, entpuppte sich als Uranverarbeitungsanlage. Er hatte sehr schlechte Blutwerte und Leberprobleme, weil er schmutziges
Flußwasser getrunken hatte, doch schon bald danach war er wieder im Dienst. Es war einer der
außergewöhnlichsten Fluchtmärsche, die je einer vom Regiment absolviert hatte, und er übertraf meines
Erachtens sogar den legendären Marsch, den Jack Sillitoe im Jahr 1942 durch die Wüste Nordafrikas bewältigt hatte.
In der Gegend waren weitaus mehr Truppen gewesen, als wir erwartet hatten. Tatsächlich erfuhren wir jetzt, daß wir in ein regelrechtes Militärlager geraten waren: Zwischen der Grenze und unserem ersten LUP waren
zwei irakische Panzerdivisionen stationiert. Und als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hatte man jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in der Gegend angewiesen, nach uns Ausschau zu halten. Die Kinder hatten sogar einen Tag schulfrei bekommen, damit sie bei der Jagd mitmachen konnten. Trotz allem hatten wir eine respektable Bilanz vorzuweisen: Laut Ermittlungen des Nachrichtendienstes hatten wir 250 Iraker getötet oder verwundet.
Die Einsatzleitung hatte unseren Lagebericht vom 23.
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Januar empfangen, doch so zerstückelt, daß sich niemand einen Reim darauf machen konnte. Am 24. um 16 Uhr
Ortszeit – dem Zeitpunkt unserer Entdeckung – wurden weitere unverständliche Signale empfangen. Später
schnappten sie ein schwaches TACBE-Signal auf und
wußten, daß wir in Schwierigkeiten steckten. Danach war Funkstille, bis Chris am 31. Januar in Syrien auftauchte.
Nach Abbruch der Verbindung zu uns und den
fragmentarischen Signalen wurden zwei Rettungstrupps aufgestellt. Der erste, am 26. Januar, mußte nach
Überqueren der Grenze umkehren, da der Chinook-Pilot schwer erkrankt war. Wir wären ohnehin nicht mehr
dagewesen. Ein zweiter Versuch wurde am 27. gestartet, und diesmal mit vereinten Kräften der Briten und
Amerikaner. Durch das schwache TACBE-Signal
irregeführt, flogen sie den südlichen Korridor ab, was natürlich erfolglos blieb. Außerdem berichtete der amerikanische Nachrichtendienst von einem israelischen Angriff an der syrischen Grenze, aber da man annahm, daß wir in südlicher Richtung gingen, brachte man ihn nicht mit Bravo Two Zero in Verbindung.
Was war mit unserem Funkgerät schiefgelaufen?
Nichts. In jeder Gegend der Welt kann man nur auf
bestimmten Frequenzen senden, und selbst die müssen tagsüber immer wieder den Veränderungen der
Ionosphäre angepaßt werden. Die Frequenzen, die man uns gegeben hatte, waren falsch – äußerst bedauerlich.
Man kann nur hoffen, daß derlei menschliches Versagen in Zukunft nicht wieder vorkommt.
Und was war mit den AWACS-Flugzeugen und der
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vielgepriesenen 15-Sekunden-Reaktionszeit? Aus
unerfindlichen Gründen waren wir 300 Kilometer außer Reichweite gewesen. Irgendwo in der
Kommunikationsleitung war ein kleines Problem
aufgetreten, und auch das galt es in Zukunft zu
vermeiden. Der amerikanische Pilot, den wir über
TACBE kontaktierten, meldete den Vorfall zwar, doch die Meldung erreichte unsere Leute im FOB erst drei Tage später.
Als richtig erwies sich jedenfalls meine Entscheidung, Richtung Syrien zu gehen statt zurück zum
Hubschrauber-RV. Das Wort »Entdeckung« war zwar
tadellos durchgekommen, doch aufgrund fehlender
Zusatzinformationen wußte keiner genau, was gemeint war. Befürchteten wir, entdeckt zu werden, oder waren wir bereits entdeckt worden? In beiden Fällen war die Frage gewesen, ob wir Feindkontakt gehabt hatten oder nicht. Der betreffende Offizier verfügte einfach nicht über genügend
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