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Die Maetresse des Kaisers

Die Maetresse des Kaisers

Titel: Die Maetresse des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Stein
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Prolog
    D as Mädchen zuckte vor Schreck zusammen, als es den Löwen brüllen hörte. Jedes Mal, wenn das mächtige Tier in seinem Eisenkäfig den Rachen aufriss, so dass man seine riesigen gelben Zähne sehen konnte, und ein schauderhaftes Grollen ausstieß, schienen die Mauern des Palastes zu beben, und das Mädchen zitterte vor Angst. Auch die Hunde im Hof zogen die Schwänze ein und versteckten sich hinter den Strohballen, die in einer stillen Ecke neben großen Mauervorsprüngen gelagert wurden. Und die Pferde scharrten und zerrten nervös an den Stricken, mit denen die Knechte sie am Sattelplatz festgebunden hatten.
    Das Mädchen ergriff einen Federkiel, mit dem sein Bruder grazile lateinische Buchstaben gemalt hatte, und kritzelte etwas auf das Pergament. Dann kletterte es behende auf den Tisch, an dem ihr Bruder eigentlich seine Schreibübungen machen sollte. Es hoffte, dass nicht ausgerechnet jetzt die Nonne zur Tür hereinkommen würde, die die Fortschritte seines Bruders im Lesen und Schreiben überprüfen sollte. Aber Neugier, gepaart mit der Faszination, die von allem Fremden ausging, ließ es nicht zur Ruhe kommen.
    Das Mädchen wollte um jeden Preis einen Blick auf den Löwen mit seinem sandfarbenen Fell werfen, auch wenn die Erfahrung ihm sagte, dass seine Angst vor dem wilden Tier nur noch größer werden würde.
    Vorsichtig lugte es durch die schmale Fensteröffnung in den weitläufigen Hof.
    Es sah drei dunkelhäutige Sklaven, die gerade damit begonnen hatten, dem hungrigen Löwen einen blutigen Rehkadaver in den Käfig zu schieben. Im Hof roch es nach warmem Blut und Gedärm. Das Raubtier packte das Fleisch mit seinen Pranken und riss mit den Zähnen große Fetzen davon ab. Schaudernd wandte das Mädchen den Kopf, und ein bitterer Geschmack stieg ihm in den Mund. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, und obwohl die Luft lau und angenehm war, war ihm plötzlich kalt. Doch schon kurze Zeit später ließ die Übelkeit nach, das Mädchen strich sich erleichtert eine rotblonde Haarsträhne aus dem Gesicht, lehnte sich erschöpft gegen die Wand und schloss die Augen.
    Der Anblick der Raubtiere seines Vaters erregten in ihm stets eine Mischung aus Abscheu und Bewunderung, obwohl es die Löwen und Leoparden inzwischen kannte. Es war noch nicht lange her, das Mädchen hatte gerade laufen gelernt, da war es auf einen der Käfige zugetrippelt, und die Kinderfrau war vor Angst fast gestorben.
    »Konstanze«, hatte sie geschrien und das Mädchen in ihre Arme gerissen. Seitdem hatte ihre Mutter den Dienern strikt verboten, Konstanze je wieder in einen der Höfe zu lassen, in denen sich die Tiere aufhielten.
    Sein Vater, von dem das Mädchen das rötliche Haar und die blauen Augen geerbt hatte, hatte ihm den Namen Konstanze gegeben. Das bedeutete »die Beharrliche«, und dass dieser Name klug gewählt war, zeigte sich nicht nur an Konstanzes Starrsinn, sondern auch an der Stärke ihrer noch jungen Persönlichkeit.
    Der riesige Palast inmitten einer großen Ebene, hinter der Wälder aus Eichen, Buchen und Ulmen die Hügel hochkletterten, war voller Menschen und Tiere. Ritter und ihr Gefolge von Apulien bis jenseits der Alpen hatten hier und in der Stadt Quartier bezogen. Die Stadt hieß Foggia, doch Konstanze kannte sie kaum, denn meist lebte sie mit ihrer Mutter in der Abgeschiedenheit des Kastells Gioia del Colle, ein paar Tagereisen weiter südlich. Ihr Bruder hatte bereits erste Pflichten eines Ritters und hielt sich oft im Gefolge seines Vaters auf. Ihm war der Palast in Foggia deshalb gut vertraut, aber Konstanze wagte es nicht, ihren Bruder zu bitten, ihr die Geheimnisse des riesigen Bauwerks zu zeigen.
    Ihr Vater hatte den Palast nur wenige Jahre vor Konstanzes Geburt nach seinen Vorstellungen und Wünschen errichten lassen. Es war ein überaus prächtiges Gebäude, mit reich geschmückten weitläufigen Marmorsälen, in denen sich ein kleines Mädchen ganz verloren vorkam, und so vielen Innenhöfen, dass sich sogar die Diener verirrten.
    Der ganze Hofstaat mit seinen mehr als zweihundert Mitgliedern hatte sich hier versammelt, und die Stimmen der vielen fremden Menschen drangen sogar bis in die Zimmer weit oben im Palast, in denen Konstanze und Konrad schliefen, spielten und unterrichtet wurden.
    Sie mochte keine großen Städte, und obwohl Foggia viel kleiner als Palermo war, in das sie einmal mit ihrer Mutter gereist war, stießen der Lärm der Menschen und Tiere sowie die Ausdünstungen der Stadt

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