Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
Regeln der Kunst. Die Mafiosi erziehen ihn, studieren ihn und bringen ihm das Schießen und Töten bei. Sie stellen ihn auf die Probe. Wenn sie meinen, er sei so weit, geben sie ihm zu verstehen, dass er bald in die Organisation eintreten kann. Das entscheidende Moment für diesen mafiosen Werdegang ist der Initiationsritus.
Früher hatte diese Zeremonie Ähnlichkeit mit einem Fest. Der Neuling wurde von seinem Paten allen anderen Mitgliedern der Familie vorgestellt, er wurde in die ersten Geheimnisse der Cosa Nostra eingeweiht, und zwar unmittelbar nach der
punciuta
(bei der die Kuppe des Zeigefingers der rechten Hand – der Schießhand – mit einer Nadel angestochen wird) und nach dem Treueschwur auf ein Heiligenbildchen, das in seinen Händen verbrannt wird. Damit war der »Angesprochene« eingebunden (
combinato
). Die Palermitaner benutzten für die
punciuta
den Dorn einer bitteren Orange. Man sagt, die Familie Di Cristina aus Riesi habe eine goldene Anstecknadel benutzt.
Die Cosa Nostra nimmt nicht jeden auf. Die Universität des Verbrechens fordert zunächst Tapferkeit, die Fähigkeit, Gewaltakte auszuführen, somit auch zu töten. Das sind jedoch nicht die wichtigsten Voraussetzungen. Töten zu können ist eine notwendige Fähigkeit, aber noch nicht ausreichend.
Giovanni Falcone, aus
Cose di Cosa Nostra
, 1991.
Dt. unter dem Titel
Inside Mafia
, 1992
7. Wie viele Mafiosi gibt es in Sizilien?
Über fünftausend. Die letzte Zählung der Ermittler ergab exakt 5113 Mafiosi, verteilt auf 181 Familien im Westen Siziliens und in deutlich geringerem Umfang im Osten. Die einzige Provinz der Insel, in der es keine Familie der Cosa Nostra gibt, ist Ragusa. Die meisten Mafiosi gibt es in Palermo: 3201 Mitglieder und 89 Familien. Viele von ihnen landeten nach den Attentaten im Sommer 1992 im Gefängnis, wo sie, teilweise zu mehrfacher lebenslanger Haft verurteilt, kaum noch eine Chance auf ein Leben in Freiheit haben.
Ihre Mitglieder nennen die Mafia nicht Mafia, sondern Cosa Nostra, »unsere Sache«. Sich selbst bezeichnen sie als »Ehrenmänner« oder »Soldaten«, nicht als Mafiosi. Die allgemein Cupola, Kuppel, genannte Regierung der Cosa Nostra heißt bei den Ehrenmännern »Kommission«.
8. Warum gibt es in Ragusa keine Cosa Nostra? Gibt es andere Dörfer oder Städte in Sizilien ohne Ehrenmänner?
Im südlichsten Streifen der Insel, der geographisch ein paar Dutzend Kilometer südlich von Tunis liegt, wurden bereits im späten 16. Jahrhundert (als Ragusa zur Grafschaft Modica gehörte, dem wichtigsten Feudalstaat Siziliens) Abertausende Hektar Land an die Bauern verteilt. Damit wurde Jahrhunderte früher als in anderen Gegenden Siziliens das Latifundiensystem aufgebrochen, das die Grundlage für die Entstehung der Mafia bildete – und damit ergab sich auch für den Landadel und das entstehende Bürgertum eine andere Entwicklung.
In den letzten vierzig Jahren versuchte die Mafia auch in Ragusa Fuß zu fassen, auch aufgrund der räumlichen Nähe zu kleineren Zentren der Cosa Nostra wie Riesi und Mazzarino, Niscemi und in jüngerer Zeit Gela. Jedenfalls verfügte die Cosa Nostra in Ragusa nie über eine eigene Familie, sondern lediglich über örtliche kriminelle Banden als Bezugspunkt.
Auch an einigen Orten im Osten der Insel hat die Cosa Nostra keine Vertreter. Die Sizilianer sagten früher selbst, dass es auf dieser Seite keine Mafia gibt. Daher nannten sie Messina
città babba
, die dumme, arglose Stadt: eine Stadt ohne Mafia. In Wahrheit ist die Cosa Nostra zwar in den westlichen Provinzen Siziliens entstanden, hat sich aber in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch auf die andere Seite ausgebreitet. Die erste Familie der Cosa Nostra entstand 1925 in Catania. Anfang der fünfziger Jahre zogen die Conti aus Palma di Montechiaro in der Provinz Agrigent nach Ramacca und baten die Familie von Catania um die Erlaubnis, dort eine weitere Mafiafamilie zu gründen. Städte wie Messina oder Syrakus wurden im Laufe der Zeit immer weniger »arglos« und immer mafialastiger.
9. Wie ist die Cosa Nostra aufgebaut?
Wie eine Pyramide. Ihre Basis bilden die Ehrenmänner, ihr Kern ist die »Familie«, die territorial organisiert ist und einen Ort oder ein Stadtviertel kontrolliert. Je nach Größe der Familie bilden die Ehrenmänner Gruppen aus zehn, zwanzig, manchmal auch dreißig Mitgliedern, die sogenannten
decine
(von
decina
, etwa zehn), mit einem
capodecina
(Zehnerführer) an der Spitze.
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