Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
den Bossen zugeschanzt hatte. Er war entschlossen, inseiner Partei aufzuräumen und die sizilianische Democrazia Cristiana zu erneuern.
Wenn die Mafia früher nicht schoss, sondern sich ruhig und unauffällig verhielt, so war dies ein Zeichen dafür, dass innerhalb der Cosa Nostra alles gut lief, dass alles in Ordnung war. Wenn sie heute nicht schießt, dann deshalb, weil ihr die Kraft dazu fehlt, und vor allem, weil sie kein Interesse daran hat, in den Fokus der Öffentlichkeit zu treten: Sie möchte nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Es gab natürlich Phasen, in denen die Mafia schoss, um ihre Vormachtstellung zu behaupten – beispielsweise 1980/81, als der zweite Mafiakrieg die Corleoneser an die Macht brachte.
Der Mafiamord unterliegt strengen Regeln. Ohne die Genehmigung seines Familienoberhaupts darf ein Ehrenmann keinen Mord begehen, nicht einmal in dem Territorium, in dem er lebt. Wenn der Mord einen anderen Bezirk betrifft, ist seine Familie gezwungen, die Genehmigung des jeweiligen Bezirkschefs einzuholen. Das ist das Territorialitätsprinzip der Cosa Nostra.
Bei Morden an prominenten Persönlichkeiten – Richtern und Staatsanwälten, Politikern, Polizisten, Carabinieri-Offizieren und Journalisten – liegt die Entscheidung allein bei der Kommission.
15. Wie mordet die Cosa Nostra?
Wie es am zweckmäßigsten ist. Wenn die Öffentlichkeit erfahren soll, dass die Organisation jemanden umgebracht hat, ist ihre Handschrift erkennbar. Wenn sie die Sache lieber im Verborgenen hält, lässt sie die Leiche spurlos verschwinden. Ein solcher Mord heißt in Sizilien
lupara bianca
, »weiße Flinte«: eine Entführung ohne Rückkehr, ein Mord ohne Leiche.
Die
lupara bianca
ist die geräuschloseste Art, jemanden umzubringen, aber auch die komplizierteste, die am schwersten durchzuführende. Man muss das Opfer nämlich in eine Falle locken, und in der Regel ist die Zielperson schon alarmiert, sie ahnt bereits, dass sie erledigt werden soll. Wem kann es also gelingen, sie in einen Hinterhalt zu locken, wer kann sie dazu überreden,in eine Falle zu tappen? Ein guter Freund, ein Verwandter, ein Cousin, ein Onkel, ja sogar ein Bruder: jemand, der das volle Vertrauen des Opfers genießt und es verrät, um sein eigenes Leben zu retten. Man beruhigt das Opfer und wiegt es in Sicherheit. Es ringt sich dazu durch, ein Treffen zu akzeptieren, es geht hin und wird von vier Männern erdrosselt. Nach dem Mord findet man nur den abgestellten Wagen des Opfers, mit dem Schlüssel im Zündschloss. Keine Patronenhülsen. Kein Blut, keinen Toten, den die Familie betrauern kann, und keine Leiche, um polizeiliche Ermittlungen aufzunehmen. Die Mafiosi sagen, die
lupara bianca
sei die »sauberste« Art, jemanden umzubringen.
Während des Baubooms in den sechziger Jahren wurden viele dieser Leichen im frisch gegossenen Beton entsorgt. Man sagt, sie ruhen in den tragenden Wänden von Palermos Wohnhäusern. In den achtziger und neunziger Jahren wurden sie in Säure aufgelöst. Wo es keine Leiche gibt, gibt es auch kein Verbrechen: Ohne das
corpus delicti
gibt es auch kein Delikt. Die Schränke der Ermittlungsbehörden Siziliens – bei den Gerichten, den Mordkommissionen der Polizei und den Einsatzgruppen der Carabinieri – quellen über von Akten, auf deren Deckel nur der Buchstabe
M
für Mafioso, ein Kreuz und das Wörtchen »verschwunden« stehen.
Durch die
lupara bianca
kommen nicht nur Ehrenmänner zu Tode. Man lässt auch gefährliche Zeugen verschwinden: solche, die zu viel gesehen und zu viel gehört haben.
Es war fast neun Uhr abends, als er direkt vor seinem Haus in der Via delle Magnolie verschwand, einer Straße im neuen Teil Palermos. Nach Verlassen der Redaktion hatte er mit seinem BMW vor der Bar in der Via Pirandello angehalten und ein halbes Pfund gemahlenen Kaffee gekauft, drei Päckchen filterlose Zigaretten der Marke Nazionali und eine Flasche Bourbon. Er war gerade dabei einzuparken, als seine Tochter Franca, die am Tag darauf heiraten sollte, vom Fenster aus beobachtete, wie ihr Vater »mit zwei oder drei Männern sprach«. Dann fuhr der BMW plötzlich wieder los. Man fandden Wagen am nächsten Morgen am anderen Ende der Stadt. So ist Mauro De Mauro am Abend des 16. September 1970 verschwunden, für immer.
Er war ein Reporter von
L’Ora
, der Tageszeitung jenes anderen Palermo, das sich gegen üble Machenschaften und gegen die Mafia engagierte. Er wurde 1921 in Foggia geboren, ein Bruder war im
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