Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
verbirgt sich in anderen Kapiteln der Akte Addaura. Seit Monaten werden die Phantombilder der beiden Taucher gesucht, die damals den Angaben einiger Badender entsprechend angefertigt wurden. Die Zeugen befanden sich am 20. Juni 1989 in dem Strandabschnitt, wo Falcone ermordet werden sollte. Zeitungen und Nachrichtenagenturen hatten ausführlich von der Existenz dieser beiden Phantombilder berichtet. Heute erhärtet sich der Verdacht, dass sie der Staatsanwaltschaft nie übergeben wurden. Bei den Ermittlungen zum Fall Addaura scheinen die Fahnder immer tiefer in tückischen Treibsand zu geraten.
Die Affäre Addaura ist ein wichtiger Schlüssel für die Ermittlungen zu allen anderen Anschlägen in Sizilien, und es ist eine Geschichte mit zu vielen Toten.
Es starb Francesco Paolo Gaeta, ein Kleinkrimineller aus dem palermitanischen Viertel Acquasanta, der am Tag des gescheiterten Attentats zufällig die Anschlagsvorbereitungen vor Falcones Haus beobachtet hatte. Er wurde mit Pistolenschüssen niedergestreckt. Der Fall wurde als Abrechnung zwischen Drogendealern ad acta gelegt.
Es starb der Mafioso Luigi Ilardo, ein Informant des Carabinieri-Oberst Michele Riccio. Er hatte dem Oberst gesagt: »Wir wussten, dass es in Palermo einen Polizisten gab, der merkwürdige Sachen machte und sich immer an merkwürdigen Orten aufhielt. Sein Gesicht war verunstaltet. Wir haben erfahren, dass er auch in der Nähe von Villagrazia war, als der Polizist Agostino getötet wurde.« Wenige Tage, bevor er seine Aussagen zu Protokoll geben konnte, wurde Ilardo ermordet.
Ilardo musste sterben. Falcone musste sterben. Der Polizist Nino Agostino musste sterben. Der SISDE-Agent Emanuele Piazza musste sterben.
Die Jagd auf den Mann mit dem verunstalteten Gesicht ist eröffnet. Die einen sagen, man sei seiner Identifizierung sehr nahe, die anderen schwören, dass man diesen Mann niemals finden werde, weil auch er schon seit Jahren tot sei. Auch auf andere »Geheimagenten«, die mit den Bossen von Corleone in Verbindung stehen, ist die Jagd eröffnet. Da ist insbesondere einer, der einmal »Carlo«, einmal »Signor Franco« genannt wird, ein Mann der Apparate, der zwanzig Jahre lang an der Seite des ehemaligen Bürgermeisters von Palermo, Vito Ciancimino, stand und im Sommer 1992 mit ihm und Totò Riina verhandelte.
Die Geheimdienste sind also auf zwei verschiedenen Ebenen in die Anschläge verwickelt: Einerseits stehen sie im Verdacht, mit der Mafia verhandelt zu haben, andererseits, aktiv an den Attentaten beteiligt gewesen zu sein.
Wenn diese Zusammenhänge unaufgedeckt bleiben, werdenwir nie erfahren, wer Falcone und Borsellino tatsächlich ermordet hat und warum. Jedes Massaker in Sizilien riecht nach Geheimdienst. Nach Geheimnissen der Mafia, die eng mit den Geheimnissen des Staates verflochten sind.
101. Wer innerhalb des Staatsapparats hatte ein Interesse daran, die beiden sizilianischen Ermittlungsrichter zu liquidieren?
Das Motiv liegt bisher im Dunkeln, denn noch sind die politischen Akteure hinter der Strategie des Terrors unbekannt.
Vor ein paar Monaten verlangte die Staatsanwaltschaft Caltanissetta, die die Ermittlungen im Mordfall Falcone und Borsellino führt, die Freigabe einiger als geheim klassifizierter Dokumente. Die Forderung wurde dem Inlandsgeheimdienst AISI (
Agenzia Informazioni e Sicurezza Interna
) und dem militärischen Nachrichtendienst AISE unterbreitet. Geklärt werden sollte, ob in jenen Jahren einige Polizeibeamte und Carabinieri-Offiziere auf der Gehaltsliste des Inlandsgeheimdienstes SISDE (der im August 2007 durch AISI ersetzt wurde) oder des militärischen Nachrichtendienstes SISMI (jetzt AISE:
Agenzia Informazioni e Sicurezza Esterna
) standen und für diese Dienste arbeiteten. Eine parallele Untersuchung konzentrierte sich auf das Hochkommissariat zur Bekämpfung der Mafia, einen mit Agenten durchsetzten, schwerfälligen Apparat, der seit Mitte der achtziger Jahre in Palermo als Geheimdienstzentrale operierte. An der Spitze dieser Behörde stand Bruno Contrada, der Weihnachten 1992 verhaftet und wegen externer Beteiligung an einer mafiaartigen Vereinigung zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Er hatte mit dem Feind, den Mafiosi, verhandelt und Abmachungen mit ihnen getroffen.
Die Ermittlungen zu den blutigen Anschlägen in Sizilien beschränken sich aber keineswegs auf Capaci und die Via D’Amelio. Die Strategie des Terrors begann bereits Monate zuvor mit dem Mord an Salvo Lima, Andreottis Mann in
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