Wer bricht das Schweigen (German Edition)
Janina Mantoni
Wer bricht das Schweigen
© 2014 Janina Mantoni
Cover: panthermedia Bild Nr. 6254481
„W ie sehen Sie denn aus, Doktor?“ Die ältere Frau schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. Mit ihrer Leibesfülle versperrte sie ihm den Eingang.
Doktor Baumann sah keine Chance, an seiner Haushälterin vorbeizukommen. „Ihre Windjacke ist voll mit Ölflecken“, jammerte sie. „Die bekomme ich im Leben nicht mehr heraus. Und Ihre Schuhe sehen aus, als hätten Sie damit einen Acker umgepflügt.“
„ Damit haben Sie gar nicht so unrecht, Frau Krämer“, gestand der junge Arzt lachend. „Mitten auf seinem Rübenacker ging dem Weidner Georg plötzlich der Traktor aus. Ich habe ihm gesagt, wo er überall nachsehen soll, aber als ich herausfand, dass er von einem Motor keine Ahnung hat ...“
„ Ich weiß schon. Da haben Sie sich die Ärmel hochgekrempelt, und sind ihm zu Hilfe gekommen. Dabei sitzen die Patienten hier schon seit einer Ewigkeit im Wartezimmer. Die Schuhe müssen herunter“, bestimmte sie. „Ich bringe Ihnen Ihre Pantoffel.“
Amüsiert blickte Michael Baumann seiner Haushälterin nach. Eigentlich müsste er ihr böse sein, wenn sie ihn immer wie einen ungezogenen Jungen behandelte. Mit seinen achtunddreißig Jahren fühlte er sich längst als ein gestandenes Mannsbild, wie man hier sagte. Lisa Krämer war eben ein Original, und für ihn war sie unersetzlich. Nicht nur in seinem Single-Haushalt, sondern auch in seiner Praxis hielt sie die Fäden in der Hand.
„ Ihren Mantel habe ich auch gleich mitgebracht, Doktor“, sagte Lisa, als sie zurückkam. „Geben Sie mir die Jacke am besten gleich, damit ich sie reinigen kann. Einfach wird es nicht werden. Unser Doktor Breuer ...“
Michael Baumann hielt sich lachend die Ohren zu, wie immer, wenn seine Haushälterin ihm wieder einmal seinen Vorgänger als rühmliches Beispiel vorführen wollte. „Ich weiß ja, Doktor Breuer hatte nie schmutzige Klamotten, wenn er von seinen Hausbesuchen zurückkam. Er beschränkte sich darauf, die Diebacher gesund zu machen.“
„ Doktor Breuer tat nur das, für das er bezahlt wurde. Darum kann er es sich jetzt auch leisten, seinen Lebensabend in Spanien zu verbringen.“
„ Spanien kann noch warten. Bis jetzt gefällt es mir hier in Diebach“, meinte der Arzt scherzend. „Aber nun schlage ich vor, dass wir endlich mit der Sprechstunde anfangen, Mama Lisa.“
„ Frau Wagner wartet schon im Sprechzimmer. Sie will ihren Befund haben. Ich habe Ihnen schon alles auf den Schreibtisch gelegt, Herr Doktor.“ Sie verschwand rasch in ihrer Küche, weil ihr gerade noch rechtzeitig eingefallen war, dass sie zum Abendessen einen Hackbraten in den Backofen geschoben hatte.
Eigentlich war sie stolz auf ihren Doktor, der hier in Diebach sofort bei allen beliebt war, obwohl er doch erst seit wenigen Monaten die Praxis von Doktor Breuer übernommen hatte. Sie musste nur auf ihn aufpassen, damit er sich nicht ausnützen ließ. Dass er sie vorhin Mama Lisa genannt hatte, wärmte ihr Herz. Die Haushälterin stellte den Backofen auf eine niedrigere Stufe, bevor sie die Küche verließ. Sie musste sich um die Praxis kümmern.
„ Es war kein Infarkt, Frau Wagner“, sagte Doktor Baumann und beobachtete, wie die Anspannung im Gesicht der Patientin sofort nachließ.
„ Aber was war es dann, Herr Doktor?“, fragte die Frau gleich darauf beunruhigt. „Ich habe mir diesen Schmerz in meiner Brust doch nicht eingebildet. Es
war wie ein Kra mpf, ich kann es gar nicht richtig beschreiben.“
„ Das glaube ich Ihnen gern, Frau Wagner. Ich habe ja auch nicht behauptet, dass Ihnen nichts fehlt. Sie leiden unter einer Erkrankung der Herzkranzgefäße. Das bedeutet, dass Ihr Herz bei körperlicher Anstrengung oder auch bei Stress nicht genügend Sauerstoff erhält. Dadurch verkrampft es sich, was zu den Ihnen bekannten Beschwerden führt. Man nennt diese Erkrankung Angina pectoris.“ Er bemühte sich stets, seinen Patienten alles so einfach wie möglich zu erklären.
„ Angina pectoris ist es also“, wiederholte die Frau betroffen. „Den Namen habe ich noch nie gehört. Was ich verstanden habe ist, dass es sich ja doch um eine Herzkrankheit handelt. Wie schlimm steht es um mich, Herr Doktor? Sagen Sie mir ruhig die Wahrheit. Ich
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