Die Magd von Fairbourne Hall
Treppe, als hätte sie ihn nicht gehört. Dann würde sie sich eben nicht zum Abendessen umziehen; im Grunde spielte es keine Rolle.
Marcus kam hinter ihr die Treppe herunter. »Dich dermaßen an Lewis Upchurch heranzuschmeißen – aber, aber, Margaret!«
»Das habe ich nicht«, erklärte Margaret wütend.
Auf dem Treppenabsatz trat er vor sie, versperrte ihr den Weg und drückte sie gegen die Wand. »Ich kann nicht sagen, dass die Abfuhr mir leidtut, meine Süße, weil er nämlich niemals das Gleiche für dich empfinden könnte wie ich.« Er strich ihr mit einem Finger über den Arm. Sie zuckte zusammen.
»Hast du wirklich geglaubt, nachdem er dir die ganze Zeit keinen Antrag gemacht hat, er würde das gestern Abend tun, nur weil du ein bisschen mit den Wimpern klimperst und ihm dein Dekolleté vorführst?«
Der Zorn über diese Demütigung trieb ihr die Röte ins Gesicht, aber sie konnte den Vorwurf nicht widerlegen.
»Meine liebe Margaret, ich bin kein blinder Narr wie Upchurch. Ich bin nicht unempfänglich für deinen Charme. Warum weist du mich so hartnäckig zurück? Ich hatte jetzt so lange Geduld, aber allmählich bin ich das Warten leid.«
Seine sanften, schmeichelnden Worte waren Balsam für ihren verletzten Stolz. Sein Finger strich abermals über ihren Arm und ein gar nicht so unangenehmer Schauer lief ihr über den Rücken. Wie sein Onkel konnte auch Marcus eine männliche Beharrlichkeit und Selbstsicherheit an den Tag legen, die sie schon immer anziehend gefunden hatte. Besaß sie denn gar kein Selbstvertrauen? Würde sie immer Wachs in solchen Händen sein und ihre Bedenken und ihre Selbstachtung unter bestimmten Umständen einfach über Bord werfen?
»Oh Margaret …« Er küsste ihren Handrücken und einen Augenblick lang gestattete sie ihm, ihre Hand zu halten. Wäre es denn wirklich so schlimm, Marcus Benton zu heiraten? Er war ein gut aussehender junger Mann, auch wenn er über ein Jahr jünger war als sie. Trotz seiner geringen Größe konnte er sehr elegant auftreten und viele Mädchen schwärmten auch regelrecht für ihn. Und dieser Mann wollte sie , wollte sie heiraten . Wie glücklich Sterling sein würde! Auch ihre Mutter würde es gutheißen, nicht weil sie Marcus mochte, sondern weil sie sich verzweifelt bemühte, Sterling zu gefallen, der seinerseits entschlossen schien, ständig unzufrieden mit ihr zu sein. Margaret konnte Frieden für die Familie erkaufen. Wunderbaren, von allen sehnlichst erwünschten Frieden.
Doch um welchen Preis?
Sie schloss die Augen und rief sich zur Ordnung. Was sollten diese Gedanken! Jegliches Interesse, das Marcus an ihr hatte, beruhte auf reiner Geldgier; er machte ihr nur den Hof, weil sein Onkel es ihm befohlen hatte. Wenn ihre Mutter Sterling doch nur nie von dem Erbe erzählt hätte!
Marcus musste ihr Schweigen als Zustimmung missdeutet haben, denn er schlang plötzlich den Arm um ihre Schultern und presste seinen Mund auf ihren.
Sie fuhr heftig zurück. »Ich habe Ihnen nie erlaubt, mich beim Vornamen zu nennen, Mr Benton«, sagte sie kühl. »Und schon gar nicht, mich zu küssen. Bitte denken Sie in Zukunft daran.«
Sie drehte sich um und eilte die letzten Stufen der Treppe hinunter; im Weglaufen hörte sie, wie er leise fluchte.
Nach einem unangenehmen, angespannten Abendessen zu dritt zog Margaret sich früh auf ihr Zimmer zurück, teils, weil sie den beiden Männern entkommen wollte, teils, weil sie nach den Aufregungen des gestrigen Abends wirklich müde war.
Sie zog die Klingel neben ihrem Bett; Joan sollte ihr beim Auskleiden helfen und ihr ein Glas warme Milch bringen. Fünf Minuten später läutete sie erneut nach dem Dienstmädchen, doch es kam immer noch niemand.
Leise vor sich hin schimpfend, ging Margaret zur Tür. Wenn keiner kam, würde sie eben selbst hinuntergehen; vielleicht linderte die Bewegung ja ein wenig ihre innere Unruhe. In Benton Sterlings Haus war sie noch nie in den unteren Räumen gewesen, doch als kleines Mädchen hatte sie viele Stunden in der warmen Küche von Lime Tree Lodge verbracht und so manchen Nachmittag mit Mrs Haines zusammen Kekse gebacken oder zugehört, wenn die Haushälterin und die Amme Geschichten darüber erzählten, wie sie gelebt hatten, bevor sie sich als Dienstboten verdingt hatten.
Margaret stieg zwei Stockwerke hinunter. Als sie leise über den Flur im Erdgeschoss ging, um zur Treppe nach unten zu gelangen, hörte sie gedämpfte Stimmen im Arbeitszimmer. Sie blieb vor der Tür, die
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