Die Magd von Fairbourne Hall
die Antwort bereits. Hatte Marcus …?
»Mr Benton. Er hat mich beschuldigt, Geld aus seinem Ankleidezimmer gestohlen zu haben. Aber ich habe es nicht getan, Miss, ganz bestimmt nicht!«
Margarets Mund war plötzlich ganz trocken und sie hatte einen Knoten im Magen. »Das tut mir sehr leid, Joan. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Joans runde Augen suchten ihren Blick. »Sie glauben mir, nicht wahr?«
Margaret presste die Lippen zusammen. »Ja.«
Plötzlich veränderte sich Joans Gesichtsausdruck. Ihre Brauen zogen sich zusammen; sie starrte Margaret mit beunruhigender Direktheit an.
Margaret wandte den Blick als Erste ab.
Joan sagte: »Er hat gesagt, ich soll meine Sachen packen und sofort verschwinden, aber ich bin erst noch zu Ihnen heraufgekommen, weil ich hoffe, dass Sie mir glauben und mir ein Zeugnis ausstellen. Ohne Zeugnis bekomme ich keine neue Stelle.«
Margarets Gedanken überschlugen sich. Sie hatte keine Zeit, Briefe zu schreiben, nicht jetzt. »Ich kenne mich da nicht aus, Joan. Aber ich bin gern bereit, mich für dich zu verbürgen … später.«
Joan runzelte die Stirn. »Sie haben das Geld genommen, stimmtʼs?«
Margaret schluckte das Schuldgefühl hinunter, das in ihren Eingeweiden rumorte wie verdorbener Fisch. Woher wusste Joan das? Sie war doch normalerweise keine schlechte Schauspielerin. »Es waren nur ein paar Münzen. Ich wollte nicht, dass man dir die Schuld gibt.«
Die Tränen in Joans Augen verwandelten sich in Zorn. »Wen sonst würden sie wohl beschuldigen, wenn das Geld verschwindet? Es ist immer das Dienstmädchen.«
»Ich dachte … ich hoffte, dass es keiner merken würde.«
»Ein Mann wie er?«
»Es war dumm, jetzt weiß ich das auch.«
»Aber Sie werden nicht zu ihm gehen und ihm sagen, dass ich es nicht genommen habe, oder?«
Margaret zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich fürchte nein. Nicht jetzt. Er darf nicht wissen, dass ich Geld habe.«
Joan hatte plötzlich rote Flecken im Gesicht. »Was sind Sie nur für eine gemeine Betrügerin …«
Margaret zuckte zusammen. »Wie kannst du es wagen? Was bist du für ein undankbares …«
»Ich undankbar?« Plötzlich traten die Sehnen an Joans Hals zutage. »Was haben Sie denn je für mich getan? Ich bin es doch, die für Sie arbeitet, vom Morgengrauen bis Sie längst im Bett liegen. Und wofür? Um entlassen zu werden wegen ein paar Münzen, die Sie gestohlen haben!«
Der Hass in der Stimme des Mädchens erschreckte Margaret. Sie hatte nicht gewusst, dass Joan ihr gegenüber so empfand.
Ihr kam eine Idee. »Wo wirst du jetzt hingehen?«
Joan schniefte. »Zu meiner Schwester. Aber das ist Ihnen doch völlig egal.«
»Es ist mir nicht egal. Ich … ich möchte mit dir kommen.«
Joans Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Mit mir mitkommen? Wissen Sie denn, wo ich hingehe?«
»Zu deiner Schwester, hast du doch gesagt.«
»Zu meiner Schwester, die in einem heruntergekommenen Mietshaus in Billingsgate wohnt. Jede Wette, in so einer Gegend sind Sie noch nie gewesen! Und das aus gutem Grund.«
»Lass mich mitkommen, Joan! Ich muss weg von hier, sofort. Aber ich kann nicht nachts allein durch die Straßen laufen, das ist zu gefährlich.«
»Wo ich hingehe, ist es auch gefährlich.«
»Zusammen sind wir sicherer«, beharrte Margaret. »Weißt du, ich habe das Geld nur genommen, weil ich fliehen muss.«
»Fliehen? Warum müssen Sie denn fliehen?« Joans Lippen kräuselten sich verächtlich. »Will Mr Benton Ihnen die neuen Seidenstrümpfe nicht kaufen, an die Sie Ihr Herz verloren haben?«
Du meine Güte. Jetzt, da Joan nichts mehr zu verlieren hatte, nahm sie offenbar kein Blatt mehr vor den Mund. Margaret verkniff sich eine zornige Antwort und sagte ernst: »Nein, ich muss fliehen, weil ich um meine Tugend fürchte.«
Joan zog die Augenbrauen noch höher. »Der junge Mr Benton?«
Margaret nickte.
»Wenn er Sie belästigt, sagen Sie es doch seinem Onkel.«
»Was glaubst du denn, wer es ihm befohlen hat?«
Das Mädchen riss die Augen auf. »Aber warum …?«
»Ich erkläre es dir später. Er kann jede Minute kommen und dann darf ich auf keinen Fall mehr hier sein.«
Joan verschränkte die Arme vor der Brust und fragte mürrisch: »Warum sollte ich Ihnen helfen?«
Ganz offenbar nicht aus Zuneigung oder Loyalität , dachte Margaret ironisch. »Weil ich dir das beste Zeugnis schreiben werde, das du je gelesen hast. Mit diesem Zeugnis würde nicht einmal der ungläubige Thomas deine Fähigkeiten
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