Die Magd von Fairbourne Hall
heraus. Was würde sie darum geben, seine Hand noch ein einziges Mal halten zu können.
Am Nachmittag nahm Margaret im Beisein ihrer Mutter und Sterlings tief betrübt Abschied von ihrer Schwester.
Caroline kehrte auf Miss Hightowers Mädcheninternat zurück, das auch Margaret besucht hatte. Da Margaret auf keinen Fall mit den beiden Bentons allein im Haus bleiben wollte, bot sie an mitzufahren.
Ihre Mutter zögerte. Joanna Macy Benton war eine große, gut aussehende Frau, auch wenn ihr einst blondes Haar inzwischen zu einem Mausbraun nachgedunkelt war und ihr Gesicht die ersten feinen Fältchen aufwies. Sie war ein paar Jahre älter als ihr imposanter neuer Ehemann – eine Tatsache, die sämtliche Gesichtscremes, die in London erhältlich waren, nicht verbergen konnten, ebenso wenig, wie ihr blasses Lächeln darüber hinwegtäuschen konnte, dass sie zutiefst unglücklich war. Sterling Benton hatte sie bewundert und sehr charmant um sie geworben, doch mit dem Charme und der Bewunderung war es nach der Hochzeit schlagartig vorbei gewesen, und nun kämpfte die frischgebackene Ehefrau darum, herauszufinden und wiedergutzumachen, was immer sie falsch gemacht hatte.
Ihre weit aufgerissenen, ängstlichen Augen huschten zu Sterling hinüber, bevor sie Margaret antwortete. »Meine Liebe, du weißt, dass ich mich freuen würde, wenn du mitkämst, aber der Landauer ist mit Caroline und ihrer Schulfreundin bis an die Grenze belastet – von dem vielen Gepäck, das die beiden dabeihaben, gar nicht zu reden.«
Sie sah erneut zu Sterling hinüber, seine Zustimmung heischend. Die beiden hatten eindeutig noch andere Gründe dafür, dass Margaret in Berkeley Square bleiben sollte.
Ein paar Stunden später hatte auch ihr Bruder gepackt und war ebenfalls reisefertig. Gilbert wollte die letzten Wochen seiner Schulferien auf dem Landgut eines Freundes verbringen, wo er reiten und jagen konnte, bis die Jungen Anfang September nach Eton zurückkehren mussten. Margaret freute sich für ihn, weil sie wusste, dass er das Landleben ebenso sehr vermisste wie sie, doch für sich selbst war sie traurig. Von jetzt an war sie ganz allein.
Sie blinzelte die Tränen zurück, umarmte Gil und küsste ihn auf die Wange.
»Was soll das?«, protestierte Gilbert gegen die Umarmung. Er verzog das Gesicht, als er ihre Tränen sah. »Komm schon, Mags. Ich gehe ja nicht für immer fort. Nach demTrimester sehen wir uns wieder.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, du hast recht. Ich bin einfach nur dumm.«
Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Das ist ja nichts Neues.«
Obwohl er nichts darüber gesagt hatte, wusste Margaret, dass ihr kleiner Bruder sich der Spannung, die im Haus herrschte, durchaus bewusst war. Aber sie wollte nicht, dass er sich Sorgen machte, deshalb gab sie ihm einen kräftigen Klaps auf die Schulter, bevor er zur Tür ging – wie jede liebevolle Schwester es getan hätte.
Danach ging Margaret nach oben, um sich fürs Abendessen umzuziehen. Ihr graute davor, allein mit Sterling und Marcus zu essen. Es würde höchst unangenehm werden. Lustlos öffnete sie ihren Kleiderschrank und betrachtete den Inhalt. Wo war Joan? Sie läutete nach dem Mädchen; sie sollte ihr beim Ankleiden helfen, aber niemand kam. Nach einiger Zeit vernahm sie auf dem Flur das bekannte Klappern von Joans bis auf die Nägel abgelaufenen Halbstiefeln, doch die Schritte eilten an ihrem Zimmer vorüber.
Sie riss die Tür auf. »Joan?«
Joan, auf dem Weg zur Treppe, drehte sich um.
»Hast du die Klingel nicht gehört?«
Joan sah blass aus. »Ich kann jetzt nicht, Miss. Theo sagt, ich soll sofort zu Mr Murdoch kommen.«
Joans angstvolles Gesicht zeigte deutlich, dass sie fürchtete, in Schwierigkeiten zu sein. Margaret überlegte kurz, was das Mädchen wohl getan hatte, doch es interessierte sie nicht wirklich. Sie hatte genügend eigene Probleme. »Aber es ist Zeit, dass ich mich zum Abendessen umziehe.«
Am anderen Ende des Flurs öffnete sich eine Tür und Marcus Benton trat aus seinem Zimmer, bereits zum Abendessen gekleidet. Joans Körper versteifte sich; dann lief sie fort. Marcus sah ihr stirnrunzelnd nach, dann blickte er Margaret misstrauisch an. Es war ihre erste Begegnung an diesem Tag.
Er kam auf sie zu. »Bilde dir nicht ein, ich wüsste nicht, was du gestern Abend im Schilde geführt hast.«
Da sie weder mit ihm allein sein noch das Risiko eingehen wollte, dass er ihr in ihr Zimmer folgte, drehte Margaret sich um und ging zur
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