Die Maikaefer
nach. »Bei mir nicht«, sagte sie. »Ich muss zwischendurch immer wieder aufstehen. Wenn du willst, könnt ihr beide zusammen schlafen.«
Sie war damit zufrieden, kletterte in mein Bett, und wir lagen eng beieinander. Ich wollte ihr noch etwas von den Tieren erzählen, das machte ich immer, wenn sie bei mir im Bett schlief, aber ich war so müde, dass meine Worte allmählich langsamer wurden, immer schwerer und das letzte mich hinunter in den Schlaf zog.
Ich träumte von Elfi Mey. Wir standen in einem Schwarm von Maikäfern, die um uns her schwirrten und sich mit ihren kleinen Beinchen in unserem Haar festhielten. Lachend standen wir voreinander und versuchten, sie wieder herauszuziehen und in die Kiste zu stecken. Ich sagte zu Elfi, du musst ein Lied singen, dann fliegen sie weg. Sie lachte, ihre weißen Zähne leuchteten, und sie tanzte ein paar Mal hin und her. Ich wusste, dass wir beide auf Elsbeth warteten, die uns mit ihrem Milchwagen mitnehmen sollte, aber irgendetwas verhinderte das. Elfi kam ganz nahe, nahm ein paar Käfer aus meinem Haar und flüsterte mir ins Ohr, als wäre es ein Geheimnis: »Die Kühe geben keine Milch mehr.«
Der Gedanke erschreckte mich, ich bekam große Angst und wollte aufwachen. Doch statt wach zu werden, wurde alles schwarz.
Frühmorgens weckte mich meine Mutter und sagte: »Du musst aufstehen, Liebling, damit wir rechtzeitig zur Arbeit kommen.«
Ich klebte am Schlaf wie am Honig, aber dann zerstörte ein Gedanke alle Süßigkeit: »Warum hat uns Papi nicht geholt?«
Meine Mutter streichelte mir über die Stirn. »Er wird noch kommen, aber diese Nacht hat es nicht geklappt.« Sie zog mich aus dem Bett und nahm mich in den Arm. »Morgen Nacht.«
Sie streichelte meinen Rücken, während sie mir den Pullover überzog. »Wir dürfen uns nichts anmerken lassen. Wir müssen pünktlich zur Arbeit da sein.«
Es fiel mir nicht schwer, denn Nina hatte mich im Pferdestall untergebracht, wo es wieder sechs Pferde gab. Man brauchte sie zum Pflügen, zum Aussäen, zu allem. Rübezahl hatte seine Wachsoldaten ausgeschickt, die sie irgendwo polnischen Bauern weggenommen hatten. Es sollte sogar eine Schießerei gegeben haben, in der Rübezahls Leute die Sieger waren. Alle liefen zusammen, als sie mit der kleinen Herde zurückkamen und betätschelten die Gäule, als hätten sie es gut gemacht, sich herbringen zu lassen.
Ich fand es auf jeden Fall gut. Mein liebstes Pferd hatte eine schwarze Blesse, aber ich mochte sie alle, weil sie so schöne, weiche Nüstern hatten, die ich gerne streichelte und kitzelte.
An diesem Tag war außerdem etwas ganz Besonderes passiert. Nachdem der Hofmeister Erich Domke von der Kommandantur gekommen war und allen ihre Arbeitsaufträge mitgeteilt hatte, ging er zu der Glocke an der Schreinerei und läutete zum Arbeitsbeginn. Seit der Besetzung durch die Russen hatte er das nie mehr getan. Heute war es das erste Mal, dass wir morgens die Glocke wieder hörten.
Gustav Giese, der Pferdemeister, grinste mich an und sagte: »Der denkt, wenn er die Glocke wieder läutet, kommen auch die alten Zeiten aus ihren Löchern gekrochen.«
Ich gab der Glocke Recht. Es war sogar noch besser als in den alten Zeiten, denn in denen hätte mich niemand ernsthaft an die Pferde heran gelassen. Jetzt aber war es kein Spiel, und jeder musste anpacken, der zwei Hände hatte. Für mich war es ein gutes Gefühl.
Den ganzen Tag über war wegen Papa so ein dumpfes Grummeln in mir. Es hörte sogar dann nicht auf, als Ruthchen mich neckte, ob ich mal etwas sehen wolle, was ich noch nie gesehen hatte. Natürlich wollte ich. Sie griff mit der Hand durch die Luft und fragte: »Hast du es gesehen?«
Ich wusste nicht, was sie meinte, ich hatte nichts gesehen außer das, was sich unter ihrem Kittel bewegt hatte. Ich schüttelte den Kopf.
Sie wiederholte es und dann noch einmal, aber jedes Mal war es dasselbe. Dann grinste sie mich breit an und sagte: »Wer zu neugierig ist, wird es nie sehen!«
Damit lief sie davon, machte mir aber von der Stalltür aus noch einen Kussmund.
Nach diesem Kussmund wusste ich, was ich gesehen hatte, und konnte Ruthchen für lange Zeit nicht vergessen.
Ich ging an den leeren Boxen im Kutschenstall vorbei und erinnerte mich an das Klappern der Hufe auf dem Stein, wenn der Administrator oder Onkel Albi ihre Pferde hinausführten, und wieder spürte ich dieses unheimliche Gefühl, dass mit meinem Vater etwas passiert sein könnte. Ich wusste nicht, wohin er
Weitere Kostenlose Bücher