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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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gegangen war, was er suchte oder brauchte, um zurückzukommen und uns zu holen. Ich wusste nicht einmal, wohin wir dann sollten. Warum war er heute Nacht nicht gekommen? War er tot?
    Ich überlegte, was das für mich bedeuten würde, aber ich sah immer nur meine strahlende Mutter vor mir. Ich konnte über ihr Lächeln, über ihre leuchtenden Augen nicht hinweg, konnte nicht hin zu etwas so Trübem, wie es der Tod meines Vaters war.
    Als sie Dagi und mich abends ins Bett packte, sagte sie dasselbe wie gestern: »Schlaft gleich ein, damit ihr nachher nicht müde seid, wenn Papa uns holt.« Dann liebkoste sie uns so lange, bis wir eingeschlafen waren.
    Als sie uns weckte, war es stockfinster. Sie sagte mit einer leisen, eindringlichen Stimme: »Steht auf, zieht euch an, wir müssen los.«
    Ich schaute mich um, aber es war so dunkel, dass ich nicht sehen konnte, ob mein Vater nun da war. Wir hatten unsere Sachen so zurechtgelegt, dass wir sie auch im Dunkeln finden und anziehen konnten. Meine Mutter hängte
    -mir meinen Rucksack um, in dem sich aber nichts weiter als Sachen zum Anziehen und ein Foto von Tante Lieschen befanden.
    Für einen kurzen Moment leuchtete eine schwache Lampe auf. Er war es, mein Vater, der eine Taschenlampe in der Hand hatte. »Wenn ich pst! mache, bleibt ihr wie angewurzelt stehen«, sagte er. »Ganz leise dann und keinen Piepser mehr!«
    Ich erinnerte mich an unsere Flucht von Gut Zernikow und wollte fragen, ob wir uns dann auch ducken sollten, aber es ging schon los.
    Wir schlichen in Abständen die Bodentreppe herunter. Immer erst einer, und wenn der unten war, dann der Nächste, damit es nicht so knarrte. Rübezahl schlief im Haus und hatte einen Wachsoldaten vor seiner Tür, dessen Aufgabe es war, jede heimliche Aktion zu bemerken.
    Wir nahmen nicht den Haupteingang, sondern den Personaleingang, der hinter der Küche in den Gemüsegarten führte. Es machte nichts, dass ein paar Hunde anschlugen, denn das taten sie oft in der Nacht. Es war ohnehin nicht sehr leise, denn immer noch rollten Panzer durch die Nacht, und immer noch kam aus der Ferne Geschützdonner.
    Hinter dem Friedhof stand ein Mann mit einem Panjewagen, vor den ein Pferd gespannt war. Ich dachte nicht, dass wir verraten worden waren, denn mein Vater ging gleich auf ihn zu und redete mit ihm. Er sprach gebrochenes Deutsch, und ich konnte erkennen, dass er eine Uniform trug. Später erzählte mir meine Mutter, dass es ein polnischer Soldat war, der einen Bauernhof besetzt hatte und bereits seine Familie aus Polen hier hatte. Er verdiente sich nebenbei Gold, Schmuck und Uhren, indem er Deutsche über die Grenze in die britisch besetzte Zone brachte.
    Wir setzten uns eingemummelt auf zusammengelegte Säcke, der Soldat nahm die Zügel, schnalzte, und das Pferd fiel in einen Trab.
    Als sich der erste helle Schimmer am Horizont zeigte, bog der Kutscher von der Straße ab, fuhr noch eine Weile über einen Feldweg und dann auf einen Bauernhof. Er rief etwas, eine Frau trat heraus und sprach mit ihm.
    Wir wurden einquartiert und warteten, bis es abends wieder dunkel war.
    Wir kletterten wieder auf den Wagen, verabschiedeten uns von der Frau, die »Viel Glick!« sagte und uns winkte.
    Die Fahrt ging den Feldweg zurück, und es dauerte noch zwei Stunden, bis wir absteigen mussten. Der Soldat nahm das Pferd beim Zügel, führte es ein Stück bis zu einem Baum und band es dort fest. Er schirrte es aber nicht aus, sondern ließ es eingespannt. Er machte ein Zeichen, dass wir ihm folgen sollten.
    Wir gingen eine Weile gebückt durch Büsche und Gestrüpp. Nach zwanzig Minuten kamen wir an ein sehr großes, unterirdisches Abflussrohr. Da hinein mussten wir, mit den Füßen durch flaches Wasser. Der Soldat und mein Vater leuchteten uns mit ihren Taschenlampen, sodass wir uns nicht an irgendetwas stießen.
    Hin und wieder hielt der Pole an und lauschte. Dann ging es weiter.
    Als wir auf der anderen Seite der Röhre herauskamen, gab er uns zu verstehen, dass wir nun besonders vorsichtig und leise sein müssten.
    »Jetzt kommt die Grenze«, flüsterte mein Vater. »Hier patrouillieren Russen. Sie schießen auf alles, was sich bewegt. Wenn ich ein Zeichen mache, duckt ihr euch und bleibt ganz ruhig.«
    Wie krumme Hexen beugten wir uns, der Pole schlich voran, dann mein Vater mit Dagi, am Schluss meine Mutter und ich. Ich hatte nur meinen Rucksack, mein Vater trug die beiden Taschen.
    Ich hörte die Stimme eines Käuzchens, und plötzlich fiel mir

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