Die Marketenderin
mußte, jetzt mit dem Land verbündet zu sein, von dem sie zwanzig Jahre lang bekämpft worden waren.
»Wenn man dann noch bedenkt, daß eine badische Prinzessin auf dem Zarenthron sitzt und wir gegen ihre Truppen kämpfen …« Oberst von Röder schüttelte den Kopf.
Genaueres über die Aufstellung der Großen Armee konnte er Gerter noch nicht mitteilen. Nur, daß mehr als 600.000 Soldaten in zwölf Korps von jeweils 30.000 bis 60.000 Mann aufgeteilt und jeweils einem Fürsten oder einem französischen Marschall unterstellt werden würden. Die Württemberger sollten im 3. Armeekorps dienen, zusammen mit Franzosen, Illyriern und Portugiesen.
Gerter freute sich, als ihm der Oberst mitteilte, daß er ihn voraussichtlich zum Quartiermacher bestellen würde. Er hoffte, daß die junge Assenheimerin sich eine Marketender-Lizenz für sein Regiment besorgt hatte, denn er konnte sich gut vorstellen, mit ihr zusammenzuarbeiten.
Es würde ein langer Marsch werden und er sollte ihr zuraten, den Korporal Schreiber nicht länger zappeln zu lassen, sondern ihn endlich zu heiraten. Ihm gefiel der Gedanke nicht, daß die hübsche junge Frau während des Feldzugs allein würde nächtigen müssen – auch wenn er davon überzeugt war, daß sich die Assenheimerin gegen Zudringlichkeiten zur Wehr setzen könnte. Sie war eine sehr entschlossene Frau, das war ihm aufgefallen. Der Gedanke, daß Schreiber das Bett mit ihr teilen würde, gefiel ihm auch nicht sonderlich, denn er hatte sich selber schon mehr als einmal vorgestellt, wie es wäre, eine Nacht mit ihr zu verbringen.
Aber zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einer solchen Laune nicht nachgegeben, denn zum ersten Mal hatte er eine Frau kennengelernt, an deren Freundschaft ihm etwas lag.
Die Vorstellung, daß sie sich nach einer solchen Nacht in ihn verlieben könnte oder – schlimmer noch – er sich in sie, hatte ihn davon abgehalten, ihr näherzutreten. Ein bißchen mag dabei auch seine Befürchtung mitgespielt haben, daß sie sich über ihn lustig machen könnte, wenn er versuchen würde, zärtlich zu sein. Er hatte ja miterlebt, wie spöttisch sie blicken konnte, wenn der gute Schreiber ihr seine Zuneigung zeigte.
Nach ihrem Besuch bei Franziska Mössner hatte es Juliane eilig, nach Hause zu kommen. Eine innere Unruhe erfüllte sie und ihr linker Ellenbogen juckte, ein Zeichen, daß etwas Ungewöhnliches bevorstand.
Es war früher Abend, eine Zeit, wo sich die meisten Bürger eigentlich in ihre Häuser zurückgezogen hatten, aber als sie in Stuttgart eintraf, sah sie ungewöhnlich viele Soldaten auf den Straßen. Wie viele von denen mochten auf ähnliche Weise rekrutiert worden sein wie der arme Mössner? Und wozu das alles? Weil irgendein Franzose wollte, daß alle Welt Französisch parlierte? Der Matthäus Schreiber konnte das ja ganz gut, er sagte selber, er wäre wie ein Papagei und könnte jede Fremdsprache in kürzester Zeit erlernen, aber sie wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie ihre Welt aussähe, wenn sie unermeßlich groß würde. Was war das überhaupt, Europa? Gerter hatte ihr mal erzählt, das wäre eine Königstochter, die von einem Stier entführt worden wäre, der eigentlich ein Gott war. Aber der Leutnant war da schon leicht angetrunken gewesen und dann erzählte er öfter solchen Unsinn. Zum Beispiel, daß Napoleon in allen Ländern die gleiche Währung einführen würde.
»Gold ist die einzige echte Währung«, hatte sie damals geantwortet und jetzt war sie sehr froh über Franziska Mössners Goldpuppe. Wenn sie wirklich auf einen Feldzug mitmüßte, dann gab es einfach kein besseres Versteck als die ziemlich häßliche Puppe.
Sie verstand nicht, warum die Russen plötzlich Feinde sein sollten, zumal der Bruder des württembergischen Königs General des Zaren war.
»Natürlich knirscht König Friedrich mit den Zähnen«, hatte ihr Felix, Gerters Diener, am Vorabend gesagt, »und, wenn's schon sein muß, würde er lieber mit den Russen gegen die Franzosen kämpfen. Aber was soll er machen – die Rheinbundstaaten haben sich vor sechs Jahren verpflichtet, Napoleon Heeresfolge zu leisten.«
»Hat dieser Napoleon Friedrich nicht zum König gemacht?« fragte Juliane, die immer noch nicht ganz verstand, daß ein Ausländer den Württembergern zu einem König verholfen hatte.
»Das auch. Und dafür muß der jetzt mit württembergischem Kanonenfutter bezahlen. König Friedrich hat dem französischen Kaiser versprochen, württembergische
Weitere Kostenlose Bücher