Die Marketenderin
er es später im Leben zu was bringen würde. Wie konnte sie verhindern, so blind zu werden wie Franziska, die ihren Sohn doch besser gekannt haben müßte? Indem ich ihn nicht als meinen Besitz betrachte, antwortete sie sich selbst, indem ich ihn nicht mit meinen Erwartungen überfrachte und nur dadurch meinem Leben einen Sinn gebe. Wollte ich nicht auch einmal, daß mein Sohn die Welt verändern sollte? Aber wenn er es selbst nicht will? Auch als Mutter habe ich kein Recht, ihm die Bahnen vorzuzeichnen, die er beschreiten soll. Ich habe den Auftrag dafür zu sorgen, daß er gesund bleibt und glücklich wird, aber er hat nicht darum gebeten, in diese Welt gesetzt zu werden, und ich darf von ihm nicht verlangen sie zu verändern. Gerade sie, die die Menschen doch zum Nachdenken anregen wollte, hatte ihrem Sohn ihre eigenen Gedanken aufzwingen wollen. Sie erschrak vor sich selbst, darüber, daß sie ihre Macht über das eigene Kind hatte ausnutzen wollen. Wie schnell das geht, wie schnell ehrlich gemeinte Überzeugungen über den Haufen geworfen werden, wenn man erst einmal zu Macht gelangt ist, überlegte sie und schwor sich, ihren Einfluß nicht zu mißbrauchen. Wenn Jakob kein Interesse daran hatte, ihre Botschaft in die Welt zu tragen, dann durfte sie nicht enttäuscht sein.
»Ein so guter Junge! Und ein so tapferer Soldat!« endete Franziska Mössner ihr Heldenepos.
In dem Augenblick öffnete sich die Tür.
Juliane mußte sich fest kneifen, zwinkerte mehrmals, aber die Erscheinung mit dem strohblonden Haar und den Sommersprossen verschwand nicht.
»Hier ist seine Frau«, erklärte Franziska. »Sie hat mir alles erzählt.«
»Clärle!« rief Juliane verblüfft.
»Ihr kennt euch? Aber ja, natürlich, ihr habt ja auch in Moskau geheiratet, wie mein Georg und das Clärle«, plapperte Franziska und wies Clärle einen Sessel an.
Clärle war mindestens genauso erschrocken und das Blut stieg ihr ins Gesicht, als sie die Ordensammlung auf dem Tisch sah. Juliane fing sich wieder und lächelte leicht maliziös.
»Es war eine wunderschöne Hochzeit, Franziska«, fabulierte sie. »Georg war so berühmt geworden und hatte sich in Moskau so viele Freunde gemacht, daß die Menschen die Kirchentür eingedrückt haben …« Hinter Franziskas Rücken machte Johannes Juliane Zeichen, nicht zu sehr zu übertreiben.
»… fast eingedrückt haben«, fuhr sie unbekümmert fort. »Und Clärle war wunderschön, Napoleon selbst hat ihr einen Handkuß gegeben. Die Leute haben sich darum geschlagen, die Braut zu sehen.«
»Das hast du mir gar nicht erzählt«, wandte sich Franziska verwundert an Clärle, die nervös mit ihrem Goldkettchen spielte, das Juliane irgendwie bekannt vorkam.
»Das konnte sie nicht, weil sie ja vorn stand und es nicht gesehen hat!« rief Juliane, die jetzt richtig in Fahrt kam und sich an der ausführlichen Schilderung der drei Tage währenden Hochzeitsfeierlichkeiten selbst berauschte. Franziska war sprachlos, stolz und unendlich traurig, daß sie nicht dabei hatte sein können.
»Und jetzt«, Juliane stand auf, »möchte ich zu gern mit Clärle über Angelegenheiten plaudern, die euch tödlich langweilen würden, mich aber brennend interessieren.« Auch Clärle war aufgestanden und spürte den harten Griff Julianes um ihre Taille, als sie mit ihr das Wohnzimmer verließ.
»Wo kommen die Orden her«, fuhr sie Clärle an, als sie vor der Tür standen.
»Von … von toten Soldaten«, stotterte das Mädchen und langsam brachte Juliane die ganze Geschichte aus ihr heraus.
Sie war bewußtlos geworden, als Georg sie die verschneite Böschung hinunterstieß, und als sie wieder zu sich kam, war vom Treck der Flüchtenden keine Spur mehr. Ein alter Bauer, der sich der weggeworfenen Beute bemächtigt und Tote nach Wertsachen durchsucht hatte, wollte ihr gerade den Pelzmantel abnehmen, als sie die Augen aufmachte. Er nahm sie zu sich auf seinen verdreckten, halb verbrannten Hof, wie Clärle berichtete, ließ sie bei den Tieren im Stall schlafen und wollte sie zu seiner Magd machen. Aber sie flüchtete und schlug sich bis nach Württemberg durch, wo sie sich nach dem Mössner-Hof erkundigte und da vor einem halben Jahr schließlich eintraf.
»Wohin sollte ich denn sonst gehen?« klagte sie.
»Aber wie hast du das geschafft, ohne Geld?« fragte Juliane.
Clärle schluckte.
»Ich hatte Geld … ich hatte etwas bei mir … der Bauer hat es nicht entdeckt … und dann habe ich bei den Toten auch Geld und
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