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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Gesicht richtig Spazierengehen, dachte sie. Eine kräftige gerade Nase, helle Augen – sind sie nun grau, blau oder grün? – mit vielen Fältchen drum herum, eine Narbe über der rechten Braue und zwei Furchen zwischen den Augen. Sandfarbene, etwas wilde Locken, die würde ich gern mal kraulen. Wenn ich mich ein bißchen drehe, sieht er die Blutflecken auf meinem Rock nicht. Aber was soll's, er sieht ja, daß ich hier mit dem dummen Federvieh steh. Wieso interessiert's mich, was er denkt? Gut, daß ich mir gestern die Haare gewaschen habe. Wo bleibt nur der Matthäus?
    »Lassen Sie den Jungen laufen, es ist ja nichts weiter passiert«, sagte sie. Von meinem Herzklopfen abgesehen, dachte sie. Was ist bloß mit mir los? Sie wollte sich abwenden, aber sein Blick klebte an dem ihren fest und ihr schien, als wäre sie durch ein unsichtbares Seil mit ihm verbunden. Bis in den Grund meiner Seele kann er blicken, dachte sie erschrocken, wenn jetzt nicht schnell was passiert, dann lasse ich alles stehen und gehe mit ihm bis ans Ende der Welt. Und dort wird er mich über den Rand stoßen. Das weiß ich einfach. Warum guckt er mich nur so an! Zum ersten Mal hatte es ein Mann zuwege gebracht, daß ihre Knie weich wurden und ihr Herz zu flattern begann. Das gefiel ihr überhaupt nicht.
    »Traubentäuble!«
    Der Bann war gebrochen. Sie atmete auf. Matthäus hatte sie im Gewühl entdeckt. Eifrig winkte sie ihm zu, schnell, schnell rette mich, sonst begehe ich eine große Dummheit.
    »Traubentäuble?« Auch Gerter hatte sich wieder gefaßt. »Was ist das denn für ein Name?«
    Matthäus hatte inzwischen ihren Stand erreicht und salutierte vor dem Offizier.
    »Einer der vielen Namen meiner künftigen Frau, wie ich hoffe«, erklärte er.
    Er war ein ganzes Stück kleiner als Gerter. Und drahtiger. Obwohl er noch keine dreißig zählte, zogen sich zu beiden Seiten der Nase tiefe Furchen. Über den braunen Augen wucherten wild wachsende Brauen, die – wie auch die Geheimratsecken – seinem Gesicht einen äußerst strengen Eindruck verliehen hätten, wären da nicht die drei Grübchen gewesen, zwei neben den Mundwinkeln und eins am Kinn. Auch die Lücke zwischen den Schneidezähnen milderte den strengen Gesamteindruck.
    Julianes Augen funkelten. »Nicht so voreilig, Herr Korporal!«
    Sie erinnerte sich noch gut, zum ersten Mal war sie nahe daran gewesen, dem Werben von Matthäus nachzugeben. Er hatte so etwas Beruhigendes, Verläßliches an sich. Matthäus redete auf sie ein, sie sah, wie sich seine Lippen bewegten, aber sie hörte kein einziges Wort.
    Gerters Blick, der auf ihr ruhte, löschte den Rest der Welt aus. Die Turmuhr der Stiftskirche schlug die volle Stunde, übertönte die Ausrufe der Händler, das Wiehern der Pferde, das Schnattern der Gänse und Gackern der Hühner. Die Welt um Juliane versank, wie vor fünfzehn Jahren, als sie beinahe in einem Waldsee ertrunken wäre, und sie war einen Augenblick lang ganz allein mit diesem Fremden, dessen Blicke sie verschlangen. Der strohbedeckte Boden unter ihr schwankte und zum ersten Mal verstand sie, daß ein Mann über eine Frau Macht ausüben konnte. Bis dahin hatte sie sich in dieser Hinsicht für unangreifbar gehalten.
    Von da an sah sie den Leutnant regelmäßig. An Markttagen suchte er ihren Stand auf, unterhielt sich mit ihr und belud seinen Diener Felix mit allerlei Waren, von denen sie sich nicht vorstellen konnte, daß sie ihm von Nutzen waren, und im Marketenderzelt nahe der Kaserne wurde er zum Stammkunden.
    Es kostete sie große Mühe, ihre Mutter und andere nicht merken zu lassen, daß sie nur noch für die paar belanglosen Worte lebte, die Gerter an sie richtete. Ihr erschien es unbegreiflich, daß er nicht spürte, wie sie beide durch das unsichtbare Seil, das ihr manchmal den Atem abschnürte, immer fester zusammengebunden wurden.
    Laß dich nicht mit einem Offizier ein! Immer wieder klangen ihr Mutters Worte in den Ohren, aber sie wußte, daß sie sich mit diesem Offizier sofort einlassen würde, wenn er es wollte. Er behandelte sie höflich, mit Respekt und schien auch Wert auf ihre Meinung zu legen, aber er hielt einen unerträglichen Abstand. Manchmal fiel es ihr schwerer, unbefangen mit ihm zu plaudern, als ihn tagelang überhaupt nicht zu sehen.
    Und jetzt fragte Franziska: Kennen Sie meinen Bruder?!
    »Flüchtig«, antwortete sie und dachte, das ist nicht einmal gelogen. Was weiß ich schon wirklich von ihm?
    Sie wußte zum Beispiel nicht, daß

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