Die Markgräfin
einmal an … nun sehe ich die eine … die ich doch nie erreichen kann … lieber Herr Jesus, heile mich von meinen unkeuschen Gedanken!«
Er blätterte weiter, las und vertiefte sich. Schließlich nahm er seine Lesebrille ab und begann, die Gläser zu putzen.
»Tja, mein Lieber, damit, dass der Schreiber dieses Tagebuchs, denn das ist es ja wohl, der Kindsvater ist, haben Sie wohl Recht. Allerdings mit Ihrer weiteren Hypothese nicht. Das ist nicht die Schrift von Georg Thiel. Hier, vergleichen Sie mal die Predigtkonzeptionen im dritten Umschlag.«
Haubold verglich und nickte. »Sie haben Recht, der Thiel schreibt ganz anders. Mist. Jetzt sind wir so nah dran. Wenn wir nur wüssten … «
»Aber ich weiß es ja.« Kellermann grinste von einem Ohr zum anderen. »Auf diese Schrift bin ich nämlich im Dekanatsarchiv schon einmal gestoßen.« Er setzte sich auf, verschränkte die Finger und ließ seine Fingerknöchel knacken. »Mein lieber Haubold, dies hier ist das Tagebuch des Magisters Jacobus Tiefenthaler, der ab 1550 Zweiter Pfarrer in Kulmbach war und später als Kaplan auf die Burg versetzt wurde. Eva!«
Kellermanns Haushälterin steckte den Kopf durch die Tür.
»Im Keller müsste noch die Flasche Champagner stehen, die ich letzten Silvester geschenkt bekommen habe. Die bringen Sie uns mal, und Gläser!«
Nach einer Stunde war die Flasche leer, und die beiden Detektive beim »Du« angelangt. Es war schon fast Abendessenszeit, und Haubold rülpste lautlos, als er die Archivalien wieder in seine Aktentasche zurückpackte.
»Ach, Moment mal.« Kellermann fiel ihm in den Arm. »Das hier haben wir noch gar nicht angeschaut.«
»Ist ja auch aus den siebziger Jahren, da ist ja alles schon längst passiert gewesen.«
»Trotzdem.« Der Pfarrer blieb beharrlich. »Jetzt haben wir’s schon mal da.« Er schlug den letzten Pappschoner auf. Zuoberst lag ein ähnliches Heftchen
wie das Tiefenthaler’sche Tagebuch, nur viel zerfledderter. Einzelne Seiten fielen heraus, und als Kellermann es in die Hand nahm, ging der Umschlag kaputt. Ganz vorne waren die Initialen Georg Thiels aufgemalt, darunter standen die Jahreszahlen 1575 – 77 . Haubold sah dem Pfarrer über die Schulter, als dieser anfing, vorsichtig Seite für Seite umzublättern. Diesmal handelte es sich eindeutig um die Schrift des Kulmbacher Superintendenten.
Aus dem Tagebuch des Kulmbacher Superintendenten
Georg Thiel, 14 .September 1576
Anno 1576 , im Monat Septembris am Tage Exaltatio crucis
Fürwahr, die Zeitläufte Gottes gehen oft seltsame Wege. Heute hab ich Schwester Benedicta von den Zisterzienserinnen zu Grabe getragen, vormalige Barbara, Markgräfin von Brandenburg. Seit jenen schrecklichen Zeitläuften von Krieg und Zerstörung hat sie im fernen Süden Italia gelebt. Erst diesen Frühling ist sie in die Heimat zurückgekehrt um allhier ihr Leben zu beschliessen. Item sie wollt nicht zu Himmelkron begraben sein, wo sie zuletzt im Kloster geweilt hat, sondern ihr lezter Wille war, ins Grab geleget zu werden zu Jacobus Tiefenthalern seligen, ihrem früheren Buhlen und Pfarrer. Also ließ ich das Grab nochmals öffnen, in dem ich vor so viel Jahren nach der Hinrichtung die
gräulich zerschmetterten Glieder des Unglücklichen bestattet, und hab ihre sterbliche Hülle darzugethan. Gott sei ihrer beiden armen Seelen gnedig.
Haubold putzte sich geräuschvoll die Nase, richtete sich auf und fischte das Handy aus seiner Jackentasche.
»Mein lieber Heinrich, ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die anderen anzurufen. Hast du noch mehr Champagner, oder sollen die welchen mitbringen?«
Bayerische Rundschau, Nr. 58 , Dienstag, 16 .Februar 2003
Wer war das Kind in der Mauer? – Forscherteam
enthüllt Identität der Plassenburger Kinderleiche
Auch Skelettfund im Geheimgang geklärt – Vater des Kindes war Plassenburger Kaplan
Kulmbach (fw). Das Rätsel des grausigen Fundes eines Babyskeletts, das in einer Kellermauer unter den Markgrafengemächern der Plassenburg eingemauert war, ist endlich gelöst.
Ein Team von Hobbyforschern, angeführt vom Plassenburger Kastellan Gregor Haubold, hat nun Gewissheit: Es handelt sich um das Kind der Markgräfin Barbara von Brandenburg-Ansbach, die ab 1543 von ihrem Bruder Albrecht Alkibiades im Hochschloss gefangen gehalten wurde. Sie hatte sich gegen die Familie aufgelehnt, indem sie einen nicht standesgemäßen fränkischen Niederadeligen heiraten wollte, und war deshalb in Ungnade gefallen. Auf
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