Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
|7| I Mitten im Mittelmeer
„Ein unsicheres, eingeengtes Leben – das ist das Los der Inseln; sozusagen ihr Intimleben. Aber die Rolle, die sie nach außen hin, im Vordergrund der geschichtlichen Ereignisse spielen, geht weit über das hinaus, was man von solchen im Grunde elenden Welten erwarten würde. Die große Geschichte endet in der Tat oft bei den Inseln. Vielleicht wäre es richtiger zu sagen, daß sie sich ihrer bedient.“
So schrieb vor genau sechzig Jahren der große französische Historiker Fernand Braudel in seinem Opus Magnum, das seither zum Referenzpunkt jeder historischen Beschäftigung mit dem mediterranen Raum geworden ist. Sein Verdikt klingt wenig verheißungsvoll: Objekte, nicht Subjekte der Geschichte sollen die Mittelmeerinseln sein, „elende Welten“, eingezwängt in Isolation. Doch Braudel verweist auch auf die Rolle, die Inseln als Mittler zwischen Kulturen spielen – als Drehscheiben im Austausch von Gütern, Menschen und Ideen. Diesen Gedanken hat unlängst die junge griechische Althistorikerin Christy Constantakopoulou aufgegriffen: „Inseln galten als eindeutig ,abgeschlossene‘ Welten, Horte des Außeralltäglichen und des Bizarren; gleichzeitig aber auch als Teile einer komplexen Wirklichkeit von Wechselbeziehungen.“ 1
Auf keiner der zahlreichen Mittelmeerinseln lässt sich dieser Aspekt – das Vermittelnde, Multikulturelle – besser mit Händen greifen als auf der größten: knapp 26 000 km 2 auf halber Strecke zwischen Italien und Afrika, in der charakteristischen Form des Dreiecks. Seine Gestalt brachte Sizilien seinen ersten griechischen Namen ein: Trinakria. Die Nordküste grenzt an das Tyrrhenische, die Ostküste an das Ionische Meer und die Südwestküste an die Straße von Sizilien. Nur drei Kilometer trennen Sizilien vom italienischen Festland – aber was für |8| welche: In der Antike und noch im Mittelalter war die Straße von Messina für Seefahrer eine gewaltige Herausforderung. Und heute liegen seit vierzig Jahren fertige Pläne einer Brückenquerung in den amtlichen Schubladen römischer Offizieller. Nur ihrer Ausführung harren sie noch immer. Weiter ist es nach Afrika: Die 160 km zum tunesischen Festland sind aber immer noch so nah, dass Sizilien das Mittelmeer wie ein großer Sperrriegel in zwei Hälften teilt.
Nur 15 % der Fläche Siziliens sind eben; aber kaum mehr, nämlich 25 %, sind gebirgig. Den Löwenanteil bedecken Hügel, auf denen Ackerbau gut möglich ist. Höchster Berg ist, mit 3323 m, der Ätna, doch auch die Gebirge des Nordens, vor allem die verkarsteten Kalkberge der Madonie, erreichen mit über 2000m teils beträchtliche Höhen. Allerdings ragen die Gebirge so isoliert auf, dass sie nirgendwo die Verbindungswege zwischen den Teilen der Insel unterbrechen. Die Durchquerung Siziliens zu Lande stellte die Bewohner zu keiner Zeit vor ernste Probleme. Auch Heere waren deshalb, im Gegensatz etwa zu Griechenland, fast ungehindert mobil.
Das Klima ist mediterran, mit Durchschnittstemperaturen von ca. 10 Grad im Januar entlang der Küste und immer noch milden 8 Grad im Binnenland. Niederschläge fallen reichlich im nördlichen Bergland (über 1300 mm); aber auch im Umland von Palermo werden noch immer 700 mm erreicht. Dagegen können weite Teile der Südküste und der weiten Ebene um Catania als semiarid gelten. Große Flüsse gibt es kaum, doch führen die meisten ganzjährig Wasser. Über einen einzigen natürlichen See verfügt Sizilien, den Lago di Pergusa in der Provinz Enna. Wie in den meisten mediterranen Küstenregionen hat sich das Landschaftsbild unter menschlicher Einwirkung massiv verändert: Mit der großflächigen Abholzung der Bergwälder seit der Antike verarmte die Gebirgsvegetation drastisch; unvermeidliche Folgen waren hier Bodenerosion und Degradation.
Gleichwohl bietet Sizilien bis heute Bauern ein gutes Auskommen. Bereits in der Antike zog die Fruchtbarkeit Trinakrias Siedler in Scharen an. Für auswärtige Herren, die sich in schier endloser Folge ablösten, für Römer, Byzantiner, Araber, Normannen, Staufer, Franzosen, Spanier und Bourbonen war Sizilien immer in erster Linie Kornkammer. Die Industrialisierungsversuche des italienischen Nationalstaats nach dem Zweiten Weltkrieg waren nur bedingt erfolgreich und wandelten den agrarischen Charakter weiter Landstriche kaum. Die Herzen der Menschen, die in der römischen Regierung nur die rezenteste Ausprägung jahrtausendelanger Fremdherrschaft sahen, ließen
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