Die Markgräfin
greifen wollte, merkte er, dass er immer noch die beiden Teile des Kinderschädels in der Hand hatte. Er legte alles vorsichtig auf den Kassentisch und wählte die Nummer der Bayerischen Schlösserverwaltung.
Ansbach, September 1525
Hoch erhobenen Hauptes schritt die kleine Markgräfin über den mit Stroh bedeckten Boden des Saales. Es raschelte, als ihre Röcke über die Halme streiften. Man hatte sie für diesen besonderen Tag in Staatsgarderobe gekleidet – sie trug ein schweres perlenbesticktes Brokatkleid, das bis zum Boden reichte, und das zierliche Häubchen der unvermählten Jungfrauen, aus der das dunkle Haar vom Hinterkopf in dicken Flechten herabfiel. Das Gehen fiel ihr schwer, steckten ihre Füße doch heute zum ersten Mal in den modischen breiten Hornschuhen. Aber der Bedeutung des Tages bewusst, gab sich die Achtjährige größte Mühe, nicht zu stolpern.
Sie war keine Schönheit: Ihr Teint war zu dunkel, ihre Brauen zu dicht, ihr Mund zu groß, ihr Haar zu schwarz. Aber die Pocken hatten ihr Gesicht noch nicht entstellt wie das ihrer älteren Schwester, ihre Haut war glatt und weich wie Samt. Ihr schlanker Hals bog sich in sanftem Schwung und schien fast zu zart, um das schwere Haar zu tragen. Sie bewegte sich anmutig und leicht, in ihrer Gestik kündigte sich schon jetzt eine jungmädchenhafte Grazie an. Die eigenartig hellgrauen Augen blickten ernst, wie man es von der Tochter eines bedeutenden Reichsfürsten erwarten konnte. Für Kinderspiele war kein Platz in der Erziehung einer Markgrafentochter.
Am Ende des Raumes saßen der Markgraf Friedrich von Brandenburg-Ansbach und seine Frau Sophia auf zwei schweren, geschnitzten Stühlen, daneben ein älterer Mann in fremdartiger Tracht.
»Da wäre das Kind nun also«, sprach der Markgraf und bedeutete dem Mädchen, näher zu kommen. »Euer Liebden werden bemerken, dass sie ordentlich gewachsen und nicht hässlich ist, wie ich Eurem herzoglichen Vetter nach Schlesien geschrieben habe. Ein wohlerzogenes Kind, höflich und säuberlich. Sie kann lesen und schreiben, mit Nadel und Faden umgehen und ist im christlichen Glauben gut unterwiesen.«
Der Gesandte, ein weitläufiger Verwandter des letzten Herzogs von Groß-Glogau und Crossen, nickte zufrieden und antwortete: »Ein ansehnliches Mädchen fürwahr, Euer Gnaden – und ihre Gesundheit steht ja wohl außer Frage?«
»Wenn sie ihrer Frau Mutter nachschlägt«, und damit wandte sich der Markgraf verschmitzt an seine Ehefrau, die ihm bereits sechs Kinder geboren hatte, von denen allerdings zwei kurz nach der Geburt gestorben waren, »so dürfte der Nachwuchs des Herzogshauses zahlreich werden, so Gott will. Und natürlich sofern der Herzog will.« Der Markgraf lachte, dass sein Bauch bebte.
Die kleine Markgräfin stand stolz vor ihrem Begutachter. Sie war die erste der markgräflichen Töchter,
für die man einen Antrag erhalten hatte, und sie wollte sich ihrer Familie wohl würdig erweisen. Also tat sie, wie man ihr eingeschärft hatte: Sie machte einen tiefen Knicks, hielt die Augen auf den Boden gerichtet und sagte gar nichts. Die Markgräfinmutter, eine ehemals ungarische Prinzessin, erhob sich von ihrem Polster, nahm das Kind bei der Hand und führte es zum herzoglich-glogauischen Gesandten.
»Gott zum Gruß zuvor, Euer kleine Liebden, von meinem Herrn und Anverwandten, dem Herzog von Groß-Glogau und Crossen. Solch ein Fräulein von Anmut und Schönheit wie Euch habe ich nicht erwartet«, schmeichelte der Gesandte.
Das Kind sprach mit erstaunlich dunkler Stimme und ernsten Augen.
»Dank für den Gruß, hoher Herr, und willkommen zu Ansbach auch von mir.«
»Ihr hört, sie spricht vernünftig, und ist auch kein Fehl an ihrer jungfräulichen Bildung – dafür bürgt mein Wort«, wandte sich der Markgraf an seinen Besucher. Gleichzeitig wedelte er mit der linken Hand und entließ damit seine Tochter, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen. Das Mädchen drehte sich vorsichtig um, warf die Fülle des Kleides mit einer etwas ungeschickten Bewegung und einem Schlenker ihrer Hüfte hinter sich und schritt langsam, um nur ja nicht zu stolpern, wieder durch die Tür hinaus.
Damit war die Hochzeit zwischen Barbara, Markgräfin
von Brandenburg-Ansbach, und Heinrich, dem letzten Herzog von Groß-Glogau, beschlossene Sache.
Kaum hatte sich die Saaltür hinter Barbara geschlossen, raffte sie die Röcke, entledigte sich mit zwei schwungvollen Tritten der unbequemen Schuhe und rannte
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