Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
Strom: Sauerstoff, der von den grünen Bäumen herüberwehte. Er schimmerte förmlich in kristallenen Wolken. Sauerstoff, frischer, reiner, grüner, kalter Sauerstoff, der das Tal in ein Flußdelta verwandelte. Gleich mußten die Türen in den Ortschaften aufspringen, und die Menschen würden durch das neue Sauerstoffwunder eilen; sie würden schnüffeln und probieren, während sich ihre Wangen röteten und sie sich am Sauerstoff verkühlten, während ihre Lungen angeregt wurden, die Herzen höherschlugen und die müden Körper sich zu einem Tanz aufrafften.
    Mr. Driscoll gönnte sich einen langen tiefen Schluck von der grünen feuchten Luft und fiel in Ohnmacht.
    Als er wieder zu sich kam, waren bereits fünftausend neue Bäume der Sonne entgegengewachsen.

Februar 2002: Die Heuschrecken
     
    Die Raketen setzten die knochentrockenen Wiesen in Brand, verwandelten Felsgestein in Lava, Holz in Asche und Wasser in Dampf; sie ließen Sand und Kieselerde zu grünem Glas werden, das überall herumlag wie grüne Spiegelscherben, in denen die Invasion reflektiert wurde. Die Raketen kamen wie dröhnende Trommelschläge von Trommeln, die in der Nacht angeschlagen wurden. Die Raketen kamen wie die Heuschrecken; sie schwärmten herab und ließen sich auf ihren rosa Rauchblüten nieder. Und aus den Raketen stürmten Männer. Sie trugen Hämmer in den Händen, mit denen sie die fremde Welt in eine Form bringen wollten, die ihrem Auge vertraut war, mit denen sie all das Fremdartige fortzuknüppeln gedachten. Ihre Münder waren mit Nägeln gespickt, so daß sie stahlgezähnten Raubtieren glichen, und sie spuckten sich hastig in ihre emsigen Hände, während sie einfache Holzhäuser zurechtzimmerten und die Dächer mit Schindeln deckten, die die unheimlichen Sterne auslöschen sollten, während sie grüne Fensterrollos einpaßten, damit die Nacht nicht hereindrang. Und als die Zimmerleute weitergeeilt waren, kamen die Frauen mit ihren Blumentöpfen und Spitzendeckchen und Pfannen, und sie machten Lärm in der Küche, um das Schweigen des Mars zu übertönen, der draußen vor der Tür und vor dem zugezogenen Fenster wartete.
    In kaum sechs Monaten war ein halbes Dutzend kleiner Städte auf dem nackten Planeten entstanden, Städte voller summender, flackernder Neonröhren und gelber elektrischer Birnen. Alles in allem kamen etwa neunzigtausend Menschen auf den Mars, und auf der Erde packten bereits die nächsten hunderttausend ihre Sachen…

August 2002: Nächtliche Begegnung
     
    Vor der Fahrt in die blauen Berge hielt Tom Gomez noch an der entlegenen Tankstelle.
    »Ziemlich einsam hier draußen, wie?« fragte Tom.
    Der alte Mann wischte über die Windschutzscheibe des kleinen Lastwagens. »Es geht.«
    »Wie gefällt es Ihnen auf dem Mars, Opa?«
    »Gut. Gibt immer etwas Neues. Als ich letztes Jahr raufkam, hab ich keine großen Dinge erwartet und keine Ansprüche gestellt und wollte mich auch nicht überraschen lassen. Wir müssen die Erde vergessen, wir müssen vergessen, wie es da unten war. Wir müssen uns ansehen, was wir hier haben und wie anders alles ist. Das Wetter zum Beispiel. Schon das Wetter macht mir hier verdammt Spaß. Ist eben marsianisches Wetter. Heiß wie die Hölle am Tage, kalt wie die Hölle in der Nacht. Ich beschäftige mich viel mit den andersartigen Blumen und dem andersartigen Regen. Ich wollte mich auf dem Mars zur Ruhe setzen, mir ein Plätzchen suchen, wo alles anders ist. Ein alter Mann braucht das. Das junge Volk will nichts mehr von ihm wissen, und seine Altersgenossen langweilen ihn zu Tode. Also hielt ich es für das beste, mir ein Fleckchen zu suchen, das so anders ist, daß ich nur die Augen aufzumachen brauche und schon etwas zu sehen habe. Hier die Tankstelle hab ich mir besorgt. Wenn das Geschäft zu lebhaft wird, suche ich mir weiter oben eine andere alte Straße, auf der es noch ruhiger ist und wo ich ausreichend verdiene und noch Zeit habe, all das Fremde in mich aufzunehmen.«
    »Sie machen’s richtig, Opa«, sagte Tom. Seine braunen Hände ruhten locker auf dem Steuerrad. Er fühlte sich wohl. Er hatte zehn Tage hintereinander in einer der neuen Kolonien gearbeitet und hatte jetzt zwei Tage frei und war auf dem Weg zu einer Party.
    »Mich überrascht gar nichts mehr«, sagte der alte Mann. »Ich sehe mich nur um. Ich registriere. Wenn man den Mars nicht so nehmen kann, wie er ist, sollte man gleich wieder zur Erde fliegen. Hier oben ist alles verrückt – der Boden, die Luft, die

Weitere Kostenlose Bücher