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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Siedler
     
    Die Menschen der Erde kamen auf den Mars.
    Sie kamen, weil sie Angst hatten oder keine Angst hatten, weil sie glücklich oder unglücklich waren, weil sie sich wie Pilger oder nicht wie Pilger vorkamen. Jeder hatte seinen Grund. Sie ließen böse Frauen oder unschöne Arbeitsbedingungen oder unangenehme Städte zurück; sie kamen, um etwas zu finden oder einer Sache zu entkommen oder etwas zu gewinnen, um etwas auszugraben oder etwas zu vergraben oder um an nichts mehr denken zu müssen. Sie kamen mit kleinen Träumen oder großen Träumen oder überhaupt ohne Illusionen. Doch in vielen Städten deutete der Finger der Regierung von vierfarbigen Plakaten: ES GIBT ARBEIT FÜR DICH IM HIMMEL: KOMM AUF DEN MARS! Und die Männer kamen, zuerst nur wenige, eine Handvoll, denn die meisten spürten bereits die große Krankheit in sich, ehe die Rakete überhaupt ins All gestartet war. Und diese Krankheit hieß Einsamkeit, denn wenn man seine Heimatstadt zur Faust und dann zur Zitrone schwinden sieht, wenn sie dann nur noch stecknadelgroß ist und schließlich im feurigen Rückstoß untergeht, dann hat man das Gefühl, überhaupt niemals geboren zu sein. Man ist im Nirgendwo, ringsherum Weltall, nichts Vertrautes umgibt einen, nur andere fremde Menschen. Und wenn Illinois, Iowa, Missouri oder Montana in Wolkenmeeren versinken und wenn dann auch die Vereinigten Staaten zu einer nebelhaften Insel zusammenschrumpfen und der gesamte Planet Erde zu einem schmutzigen und ausgedienten Baseball wird, dann ist man wirklich allein, allein in den Gefilden des Alls, auf dem Weg zu einer Welt, die man sich einfach nicht vorstellen kann.
    Es war also kaum verwunderlich, daß sich zuerst nur wenige meldeten. Die Zahl wuchs jedoch ständig im Verhältnis zu der Zahl der Menschen, die bereits auf dem Mars waren. Und je mehr heraufkamen, desto sicherer fühlte man sich. Die ersten Einsamen jedoch waren noch auf sich allein gestellt…

Dezember 2001: Der grüne Morgen
     
    Als die Sonne unterging, ließ er sich am Wegrand nieder und bereitete ein einfaches Mahl und lauschte auf das Prasseln des Feuers, während er die Bissen in den Mund schob und nachdenklich darauf herumkaute. Der heutige Tag hatte sich kaum von den dreißig vorangegangenen unterschieden; in der Dämmerung hatte er zahlreiche saubere Löcher gegraben, hatte die Samen hineingelegt und Wasser von den schimmernden Kanälen herbeigetragen. Jetzt erfüllte bleierne Müdigkeit seinen schmächtigen Körper, und er lag da und beobachtete den Himmel, der mit der hereinbrechenden Dunkelheit ständig seine Farbe veränderte.
    Er hieß Benjamin Driscoll, und er war einunddreißig Jahre alt. Sein Herzenswunsch war ein grüner Mars, ein Mars voller Bäume und Blattwerk, das Luft und immer mehr Luft hervorbrachte und von Jahr zu Jahr weiter wuchs; ein Mars voller Bäume, die im kochenden Sommer die Städte abschirmten und im Winter den scharfen Wind abhielten. Ein Baum konnte viel Gutes tun: er konnte farbenfroh leuchten, Schatten spenden, Früchte tragen oder ein Spielplatz für Kinder sein, ein ganzes Himmelsuniversum, in dem man herumklettern und von dem man sich herabbaumeln lassen konnte; ein Gebilde voller Früchte und Spaß, das war ein Baum. Aber vor allem gaben die Bäume kühle Luft für die Lungen ab, und ein sanftes Rauschen für das Ohr, wenn man des Nachts in seinem schneeweißen Bett lag und von dem Geräusch in Schlaf gewiegt wurde.
    Er lag still da und horchte die dunkle Erde ab, die sich auf den Morgen vorbereitete und auf die Sonne und den Regen, der noch ausstand. Er legte das Ohr an den Boden und hörte ganz leise schon die Schritte der kommenden Jahre, und er stellte sich die Samen vor, die er heute gelegt hatte, Samen, die grün aufkeimten und sich des Himmels bemächtigten, die einen Ast nach dem anderen sprießen ließen, bis der ganze Mars ein Nachmittagswald, ein leuchtender Obstgarten geworden war.
    Früh am Morgen, wenn sich die kleine Sonne schwach zwischen den runzligen Hügeln erhob, würde er aufstehen und ein kleines Frühstück zu sich nehmen; dann würde er das Feuer austreten und sich mit seinen Rucksäcken auf den Weg machen. Er würde prüfen, graben, die Samen oder Keimlinge einpflanzen, die Löcher zuklopfen und wässern; er würde weitergehen und leise vor sich hin pfeifen und zum klaren Himmel aufschauen, der einem warmen Mittag entgegenleuchtete. »Du brauchst die Luft«, sagte er zu seinem nächtlichen Feuer. Das Feuer war ein

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