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Die Mars-Verschwörung

Die Mars-Verschwörung

Titel: Die Mars-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Macinnis Gill
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sie mir in die Arme.
    Sie hat geschlafen, seit Tychon uns in den Frachtraum gezogen hat, und ich habe sie in eine Rettungsdecke aus dem Erste-Hilfe-Kasten gewickelt, die sie während des ganzen Heimwegs warmgehalten hat.
    »Viel Glück«, sagt Tychon und tippt sich an die Mütze.
    Als wir weit genug weg sind, gibt er Gas und rollt die Straße hinunter.
    Vienne rührt sich nicht, als ich sie den Weg zum Tor hinauftrage. Ihr Kopf liegt an meinem Hals, und ich fühle ihren flachen Atem warm auf meiner Haut.
    Sie ist zu Hause. Das war es, was sie gewollt hat. Ich muss sie den Mönchen übergeben, denn sie sind die Einzigen, die ihr helfen können, gesund zu werden. Aber wenn ich das tue   – bedeutet es dann, dass ich sie nie wiedersehe? »Ich kann sie nicht hier lassen, Mimi.«
    »Ein Versprechen ist ein Versprechen, Cowboy.«
    Der Regen hat den Wasserstand im Graben seit dem Tag, an dem Vienne und ich von dem Trike gestiegen sind, schmutzig vom Straßenstaub und mit schmerzenden Hintern, auf die doppelte Höhe anschwellen lassen. In dem schmutzigen Wasser ist der Lotus erblüht. Die Blüten sind makellos, wie stets.
    Ghannouj sitzt mit überkreuzten Beinen auf einer Matte vor dem Tor, von Dutzenden leerer Teetassen umgeben, und spricht ein Gebet.
    Ich bleibe direkt vor ihm stehen. Er schlägt die Augen auf, nickt und erhebt sich.
    Eine Sekunde später platzen Shoei und Yadokai zum Tor heraus. Die Meisterin drängt sich am Meister vorbei und ist die Erste, die Hand an Vienne legt. Für einen Moment streichelt sie die narbige Haut an ihrem Nacken. Ihre Hände wandern über Viennes Wangen, und ihr altes Gesicht verzerrt sich vor Kummer.
    Yadokai legt einen Arm um sie, und sie birgt den Kopf an seiner Brust. Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber Yadokai legt einen Finger an die Lippen. Dann schließt er die Augen und legt eine Wange an Shoeis Kopf.
    Es ist noch keine zwei Wochen her, da wollten sie weiter nichts als mir den Tanz für die Nacht der Freude während des Geisterfestivals beibringen. Im Gegenzug habe ich ihnen weiter nichts als Geister geboten.
    Ich drehe mich zu Ghannouj um. Ich weiß nicht, ob ich etwas sagen soll oder nicht. Die Mönche haben eine Erklärung verdient. Nein, für sie ist nicht wichtig, wie Vienne verwundet wurde. Sie müssen nur wissen, dass sie noch lebt. Alles andere können sie allein herausfinden.
    Ghannouj legt die Handflächen aneinander und verbeugt sichso tief, dass seine Nase beinahe die Knie berührt. Dann streckt er die Arme aus, und ich übergebe Vienne seiner Obhut.
    Der Anhänger , denke ich, nehme die Kette ab und lege sie in ihre Hand. Ihre Lider flattern, als ich mit den Lippen über ihre Stirn fahre und flüstere: »Ich liebe dich.«
    »Leb wohl«, sagt Ghannouj.
    Er trägt Vienne ins Kloster. Shoei folgt ihm auf den Fersen. Yadokai schließt die Tür, ohne sich noch einmal umzuschauen. Holz schabt auf Holz, als er den Riegel vorlegt.
    Da wende ich mich ab von Abt, Meister und Meisterin, auch wenn es mich umbringt. Vienne. Sie ist hier sicher. Dies ist der Ort, an dem sie sein will. Der Ort, an dem sie sein muss.
    Aber ich nicht. Ich gehöre nirgendwo hin.
    Ich kneife mir in den Nasenrücken, um die Tränenflut einzudämmen, die in mir aufzusteigen droht.
    In der Nähe des Banyanbaums höre ich ein Rascheln. »Hallo?«
    Ich bekomme keine Antwort, aber das Geräusch hält noch ein paar Sekunden an. Es muss der Wind sein , überlege ich und wende mich ab. Da ertönt hinter mir ein Bellen. Ich drehe mich um und sehe einen Hund, der unter dem Baum hervortrottet. Er trägt irgendetwas in der Schnauze. Zufrieden rollt er sich vor dem Tor zusammen.
    »Derselbe Hund?«, frage ich Mimi.
    »Derselbe Hund«, sagt sie, und ich lächle.
    Das letzte bisschen Energie verlässt mich, als ich den Pfad zur Straße einschlage und der Kies unter meinen Stiefeln knirscht. An der Straße angelangt, verharre ich für einen Moment.
    »Ich habe eine Frage«, sagt Mimi in die Stille hinein.
    »Und welche?«
    »Wohin gehen wir? Hast du vor, den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen?«
    »Das sind zwei Fragen.«
    »Wer zählt schon mit.«
    »Wir beide.«
    Die Wolken am Horizont haben sich vollständig aufgelöst, und ich blicke zum Himmel und frage mich, was ich nun tun soll. Ohne Vienne. Ohne ein Davos. Ohne meinen Vater.
    Ich wende mich nach links, gehe los und überlege, wie es wohl wäre, in einer Welt zu leben, in der Dinge wie Nahrung, Obdach und sogar Luft als selbstverständlich erachtet

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