Die Marseille-Connection
erkannte den alten Mafiaboss und verkroch sich in ihren Räumen, nachdem sie rasch das Schild mit »Bin gleich zurück« hingehängt hatte. Die Idee, die Polizei zu rufen, streifte sie nicht einmal von ferne.
Grisoni nahm den Aufzug und stellte sich schön deutlich unter die Videokamera, die den Eingang zur Dromos bewachte. Er zog einen Bleistiftstummel hinter dem Ohr hervor, leckte ihn an und notierte etwas auf dem Block, den er unter dem Arm getragen hatte. Er wartete, bis seine Männer alle bei ihm waren; sie hielten sich abseits des Blickbereichs der Kamera. Dann drückte er auf die Klingel, nahm die Mütze ab und kratzte sich am Kopf, so dass jeder, der ihn seit seiner Ankunft beobachtet hatte, sicher sein konnte, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen harmlosen alten Lieferanten handelte.
»Sie wünschen?«, fragte eine weibliche Stimme in der Gegensprechanlage.
Armand ging mit dem Mund nahe heran. »Ich habe eine Lieferung für Monsieur Peskow.«
»Was für eine Lieferung?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte er mit gespielter Empörung. »Ich liefere, und fertig.«
»In Ordnung, entschuldigen Sie.« Der Summer ertönte.
Grisoni nahm seine schallgedämpfte 45er hervor, währender die schwere, gepanzerte Tür aufdrückte. Drinnen saß als Empfangsdame lächelnd, elegant und sehr weiblich die Frau, die die beiden Transnistrier gefoltert hatte. Der falsche Lieferant hob den Arm und schoss.
Flop, flop, flop. In den Oberkörper getroffen, sackte Kalissa zu Boden und riss in der Bewegung das Telefon mit. Sie konnte noch etwas auf Russisch rufen, dann verpasste Grisoni ihr eine Kugel direkt unter dem linken Auge. Unterdessen waren seine Männer in die Räume eingedrungen und eröffneten das Feuer. Beide, Angreifer wie Überfallene, benutzten halbautomatische Waffen. Die Russen hielten auf die Korsen, solange ihre Munition reichte. Ein Magazin pro Kopf. Nie hätten sie gedacht, dass es in den Geschäftsräumen eine Schießerei dieses Ausmaßes geben würde. Es gelang ihnen, zwei der Angreifer zu verletzen, dann waren sie erledigt. Der Ex-Spetsnaz Prokhor versuchte noch mit einem Papierschneider einen verzweifelten Angriff, ging aber unter einem Dutzend Treffer zu Boden. Schließlich war Georgij an der Reihe, trotz seiner hilflosen Geste, als Zeichen der Aufgabe die Hände zu heben. Als Letzte wurde Ulita erledigt. Sie hatte Treffer an den Beinen und in der Leber davongetragen. Noch im Todeskampf versuchte sie, Ange an der Kehle zu treffen, der ihr den Schalldämpfer zwischen die Zähne zwang und abdrückte.
Die Leichen wurden in den Kisten abtransportiert, die beiden Verwundeten gestützt. Den einen hatte es sehr schwer getroffen, und Grisoni hatte Erfahrung genug, um zu wissen, dass keiner der inoffiziell praktizierenden Ärzte ihm das Leben würde retten können.
Ange zog die Tür hinter sich zu, nachdem er die Aufnahmen des raffiniert gemachten Überwachungssystems zerstörthatte. Zurück blieben Blutspritzer, Kugeln überall und ein Teppich von Patronenhülsen. Das Kaliber war das Autogramm des alten Gangsters. Der französische Geheimdienst sollte wissen, wer da aufgeräumt hatte, das war ihm wichtig.
Zurück im Restaurant traf er die Bourdet, die auf ihn wartete. Neben ihr saß Marie-Cécile, mit rotgeweinten Augen, ein Taschentuch zerknüllend.
»Die Kleine hat sich solche Sorgen um dich gemacht«, sagte die Kommissarin zur Begrüßung. »Heute Nacht bedient sie dich wie einen Kaiser.«
»Und du, B.B., hast du dir auch Sorgen gemacht?«
»Ich? Wieso denn das?« Sie zog sich ihren hellgrünen Mantel an.
Draußen blickte sie in den klaren Himmel. Dreizehn Grad plus, und sie wusste nicht mehr, was sie anziehen sollte. Sie stieg in ihren Peugeot und fuhr Richtung zu Hause. Sie wäre zwar gern noch ein wenig spazieren gefahren, wollte aber die Geständnisse des Russen hören, während ihre Materialsammlung zur Bremond-Clique vor ihr lag.
Sie freute sich für Armand, beneidete ihn aber auch ein wenig um die aufrichtige Sorge, die Marie-Cécile um ihn empfunden hatte. Kurz verfluchte sie das Schicksal, das sie zum Alleinsein verdammt hatte, dann konzentrierte sie sich wieder auf Peskow. Sie war sicher gewesen, dass es ihm gelingen würde, diesen Angeber von Esteban Garrincha alias Juan Santucho zu bestechen und zu fliehen, von ihren Inspektoren gefolgt. Sie hätte zu gern gewusst, wo er sich versteckt und zu wem er Kontakt aufgenommen hätte. Brainard, Delpech und Tarpin hätten ihn später
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