Die Maschen des Schicksals (German Edition)
aufgebaut. Sie hatte in der Zeit, die ihr Vater in Südamerika verbrachte, eine Menge erfahren. Grams hatte ihr Einzelheiten aus der Familiengeschichte erzählt, die niemand sonst kannte. Zuerst dachte Courtney, Grams Haus wäre voll mit altem Zeug, was eigentlich auch stimmte, aber einige von diesen Dingen entpuppten sich als echte Familienschätze. Nicht gerade Antiquitäten, die man bei Ebay für viel Geld versteigern könnte, doch jedes Stück trug ein wenig von der Familiengeschichte in sich. Ab und zu hatte Grams etwas herausgesucht, um es ihr zu zeigen, zum Beispiel einen süßen Strampelanzug, den sie für Courtneys Vater gestrickt hatte, als er noch ein Baby gewesen war, oder die Anzeige, in der sein Highschool-Abschluss bekanntgegeben wurde.
Grams hatte Courtney ihren Freundinnen vorgestellt, und es war auf einmal so, als hätte sie zehn Großmütter. Bis heute benutzte sie nie die mittlere Dusche, wann immer sie sich in einem Umkleideraum für Damen befand, im Andenken an Leta. Sie ging immer noch zweimal die Woche zum Schwimmen.
Die größte Veränderung in Courtneys Leben hatte ihre Großmutter wahrscheinlich bewirkt, als sie ihre Enkelin zu dem Strickkurs anmeldete. Courtney hatte sich allein und verlassen gefühlt und dann innerhalb von wenigen Wochen drei Freundinnen gewonnen. Drei
gute
Freundinnen. Die anderen Teilnehmerinnen am Strickunterricht waren zwar älter als Courtney, doch die Freundschaft zu ihnen war selbst jetzt noch, mehr als ein Jahr später, sehr innig. Mit Jacqueline, Carol, Alix und auch Margaret war ihr Kreis von strickenden Freundinnen noch größer geworden. Sie alle hatten sie in einer Zeit unterstützt und ermutigt, als sie es am meisten gebraucht hatte.
Courtney rannte über die Wiese und dann die Treppe hoch zu ihrem Zimmer. Sie blieb kurz am Briefkasten stehen, um ihre Post herauszunehmen, und ging schnell alles durch. Tatsächlich war ein Brief mit Andrews charakteristischer Handschrift und dem Absender der WSU dabei. Sie war stolz auf ihn, stolz, dass er dieses bedeutende Stipendium erhalten hatte. Eigentlich erwartete sie nicht, dass ihre Beziehung über die weite Entfernung lange hielt. Sie waren beide jung und, wie ihre Großmutter ihr oft gesagt hatte – zu jung, um sich schon ernsthaft festzulegen. Grams hatte recht damit gehabt. Zuallererst waren sie gute Freunde, und diese enge Beziehung wollte sie gern aufrechterhalten. Für immer, wie sie hoffte, auch wenn die romantischen Gefühle verschwanden. Andrew meinte, er würde das genauso sehen.
In ihrem Zimmer riss Courtney den Umschlag auf und fand eine Cartoonkarte mit einer Katze, die auf Rosen gebettet in der Sonne lag. Die Katze sah Lydias Whiskers ein bisschen ähnlich, der oft im Schaufenster geschlafen hatte. Sie faltete die Karte auseinander und las: „Wach auf und rieche den Duft der Rosen“. Darunter hatte er ein paar aufmunternde Sätze in Bezug auf ihren nächsten Test geschrieben.
Das war einer der Gründe, warum sie Andrew so sehr mochte. Er war immer sehr interessiert und anders als andere Footballstars überhaupt nicht selbstverliebt. Ständig zeigte er ihr mit kleinen Aufmerksamkeiten, dass er an sie dachte.
Zu Annie hatte sie auch immer noch Kontakt. In diesem Jahr waren Annie und ihre Mutter allein im Haus, und wie Annie meinte, mussten sie sich an diese neue Situation erst mal gewöhnen. Courtney vermisste sie sehr. Als sie Annie zum ersten Mal getroffen hatte, war sie aggressiv und frustriert gewesen. Ihre Wut richtete sich gegen die Person, dessen Namen Annie niemals nannte – die zweite Frau ihres Vaters. Annie hatte ihr für die Trennung ihrer Eltern und alles, was damit zusammenhing, die Schuld gegeben. Oh ja, sie war auch reichlich sauer auf ihren Vater gewesen, doch sie schienen es irgendwie geregelt zu haben. Wenigstens trafen sie sich mittlerweile einmal in der Woche zum Lunch oder Dinner, was Courtney freute. Annies Vaters hatte, so behauptete Annie, einen großen Fehler gemacht und musste nun damit leben. Annie meinte, er und „diese Frau“ hätten einander verdient – obgleich sie ihren Vater nach wie vor liebte.
Courtney saß auf ihrem Bett und las Andrews Zeilen noch einmal, dann schaltete sie ihren Computer ein, um ihm eine Nachricht zu schreiben. Sie entdeckte eine neue E-Mail von ihrem Vater. Er hatte das Haus in Chicago noch für ein weiteres Jahr vermietet, und sie fand es okay. Sie hatte ein paar Sachen von ihrer Mutter als Andenken aufgehoben, aber eigentlich
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