Die Maske
warum?« fragte sie. »Habe ich etwas an mir?«
»Nein«, antwortete ich spontan, »das auf keinen Fall. Ich denke da eher an das Gegenteil.«
Jetzt lachte sie. »Ja, ich kenne das. Sie werden sich nun fragen, was eine junge Person wie ich hinter den mächtigen Klostermauern zu suchen hat. Nicht wahr?«
»Ja, so ist es.«
»Wissen Sie, Mr. Sinclair. Jeder Mensch verspürt in seinem Leben eine gewisse Berufung. Ihre Arbeit ist es, das Böse auszuschalten. Ich beschäftige mich beinahe mit den gleichen Problemen, wenn ich es auch etwas anders sehe. Ich bete, daß das Böse nicht überhand nimmt, und handle auch manchmal entsprechend. So wie bei Ihnen, Mr. Sinclair.«
»Ach ja?«
»Sicher, Mr. Sinclair. Oder hätte ich mich sotist mit Ihnen in Verbindung gesetzt?«
»Das stimmt.«
»Sehen Sie.«
»Sie haben mich also zu Ihnen bestellt, weil es um das Böse geht. Liege ich da richtig?«
»Ja.«
»Und worum geht es genau?«
Die Nonne drehte sich zur Seite und schaute in den blühenden und gepflegten Garten, in dem auch einige Bänke ihren Platz gefunden hatten, wo man wunderbar sitzen, reden oder sich ausruhen konnte.
»Lassen Sie uns in den Garten gehen, bitte.«
»Gern.«
»Wissen Sie, ich habe eine Lieblingsbank. Die möchte ich Ihnen zeigen.«
»Dort sind wir ungestört?«
»Selbstverständlich.«
Es war ein wunderschöner Abend, und besonders hier auf dem Lande, denn das Kloster lag abseits von der Hektik der großen Städte. Ich war mit einer gewissen Skepsis im Herzen hergefahren, die allerdings war nun gewichen.
Es mochte zum Großteil auch an der Person der jungen Nonne liegen, die ich vom Alter her auf ungefähr fünfundzwanzig Jahre schätzte und die in ihrer hellen Kleidung mich tatsächlich an einen Engel mit wallendem Gewand erinnerte. Wir gingen sehr langsam nebeneinander her. Innocencia erklärte mir den Garten. Sie kannte jede Blume mit Namen, sie wußte ebenso über die Kräuter Bescheid, und sie erzählte mir, daß zum Kloster noch ein Nutzgarten gehörte, wo Kartoffeln und Gemüse angebaut wurden, auf rein biologischer Basis, denn man ernährte sich hier autark.
»Unsere Obstbäume sind übrigens eine wahre Pracht«, erklärte sie mir.
»So etwas von Kirschen werden Sie in Ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen haben.«
»Das glaube ich Ihnen. Aber freuen sich über diese Beute nicht auch die Vögel?«
»Leider.«
»Was machen Sie dagegen?«
Die Nonne lachte hell auf und legte mir eine Hand auf den Unterarm.
»Nicht das, was Sie denken, Mr. Sinclair. Hier wird kein Tier getötet. Alle sind Geschöpfe Gottes.«
»Wie sieht es denn mit Stechmücken aus?« fragte ich ein wenig hinterlistig.
»Auch bei uns gibt es Ausnahmen, Mr. Sinclair.«
Na, dachte ich. Da sind die frommen Frauen wohl doch nicht so vom Weltlichen ab.
Über die sehr gepflegten, mit kleinen Kiesstücken bedeckten Wege schritten wir tiefer in den Garten hinein. Im Schutz einer dunkelgrünen Hecke schimmerte der weiße Umriß einer Bank, die zwei Personen Platz bot. Die Nonne steuerte auf diese Sitzgelegenheit zu und ließ sich als erste nieder.
»Bitte, Mr. Sinclair.«
Ich setzte mich neben sie, streckte meine Beine aus und schaute in den Garten hinein. Dabei sah ich auch die wuchtigen Mauern des Klosters und den nach vier Seiten hin offenen Glockenturm der kleinen Kapelle, die alle Gebäude überragten.
Schwester Innocenica hatte die Hände übereinandergelegt. Als Stütze dienten die Oberschenkel. »Es ist wunderschön hier, nicht wahr?«
Das war schon mehr eine Feststellung, der ich nur zustimmen konnte.
»Aber kein Licht ohne Schatten, kein Tag ohne Nacht, kein Sommer ohne Winter…«
»Keine Freude ohne Trauer, nichts Gutes ohne das Böse«, ergänzte ich und sah ihr Nicken.
»Ja, Sie haben recht.«
»Geht es um das Böse?« fragte ich.
Ihre Augenbrauen bewegten sich nach oben, sie schaute dabei einem Käfer zu, der über den Weg kroch. Seine Schuppenhaut glänzte wie poliertes Metall. »Kennen Sie Father Ignatius?«
Mit dieser Frage hatte sie mich überrascht. »Natürlich kenne ich ihn. Er gehört zu meinen treuesten Freunden, auch wenn er im Kloster St. Patrick, hoch oben in Schottland, lebt.«
»Das ist gut«, erwiderte sie.
»Was hat Father Ignatius mit uns zu tun?«
Sie räusperte sich. »Das will ich Ihnen sagen. Er hat uns auf Sie aufmerksam gemacht, Mr. Sinclair. Er hat uns Sie gewissermaßen empfohlen.«
»Dann haben Sie Kontakt mit ihm?«
Die Nonne lachte über mein Erstaunen.
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