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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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kannten sich aus bei uns,
zielbewußt gingen sie auf den großen Schuppen von Lenes Vater zu, klopften
gegen das Tor, riefen. Während sie warteten, fiel ihr Blick auf das Netzwerk,
das zwischen Pfählen aufgehängt war, ein Grundnetz, mehrere Reusen. Ein Mann
zog ein Maßband aus der Tasche, der andere überprüfte mit gespreizten Fingern
die Größe der Maschen, mitunter hob er in anklägerischem Triumph eine
vermessene Masche hoch, geradeso, als hätte er sie einer Unredlichkeit
überführt. Sie prüften, sie maßen, sie taten es schweigend. Eine Aalreuse hatte
offenbar ihren besonderen Argwohn hervorgerufen, sie nahmen sie vom Pfahl ab
und warfen sie auf den Weg, bereit zum Mitnehmen. Noch bevor ich am Schuppen
war, zogen sie ab.
    Lenes Vater erstaunte mich. Er war wütend, der alte
Mann, er ballte die Faust, aber sagen wollte er nicht mehr als „Pfennigscheißer“.
Auch eine Drohgebärde, die er gegen den Horizont richtete, fiel ihm ein,
gehorsam ließ er sich von Lene ins Haus führen. Meine Zeichen - Zeichen der
Anteilnahme, der Beschwichtigung - schien sie nicht zu bemerken, vermutlich,
weil sie den alten Mann mit größter Fürsorglichkeit führte, um ihn vor einem
Straucheln oder gar Sturz zu bewahren. Die Art, wie sie ihn über die drei
Stufen vor dem Haus brachte, berührte mich, und ich stellte mir vor, wie sie
seine Lagerstatt ins Auge faßte, ihn zog und leitete und sanft niederdrückte
und dann eine Decke über ihn breitete, bevor sie einen Schemel heranrückte und
darauf wartete, daß er einschlief - so, wie es einst ihre Mutter wohl getan
hatte, die bis zu ihrem Tod im Haus einer Krankenschwester ausgeholfen hatte.
    Meine Befürchtungen behielten nicht recht.
    Lene kam zu unserer Verabredung. Sie saß bereits am
ausgemachten Platz, als ich den Kamm der Düne erreichte. Zu meiner Überraschung
war sie nicht allein. Cornelia saß neben ihr, klopfte mit flacher Hand auf den
Boden, als Aufforderung, Platz zu nehmen. Sie bat mich um eine Zigarette und geriet
ins Schwärmen, über die Urtümlichkeit der Landschaft, über die Lichtstreifen
auf dem Meer und sogar über die Inselgesichter, in denen sie eine gewisse
Besonderheit entdeckt haben wollte. Wir konnten nicht anders, wir hörten ihr
nur schweigend zu. Nachdem sie uns mit allem vertraut gemacht hatte, was uns
umgab und was wir besaßen, hob sie ihren Zeichenblock auf den Schoß und
blätterte ihn auf. Wie schon einmal erkannte ich den Kaufmann Madsen mit seinem
süßsauren Lächeln, den Leuchtturmwärter Kunzel mit seiner gefurchten Stirn,
Opa Klaas, der einmal mehr bewies, welch ein angestrengter Zuhörer er war, mit
schräggelegtem Kopf und offenem Mund, schließlich auch Strandwächter Eggers,
der seinen Bart wild wachsen ließ.
    Wer weiß, was sie selbst erwartete, als sie uns
mein Porträt zeigte, sie hielt es uns fragend hin, dies Gesicht, auf dem der
Ausdruck einer Weigerung lag, ich sah mich mit zusammengepreßten Lippen und
starrem Blick, auch einen Zug von Naivität mußte ich erkennen, jedenfalls
glaubte ich beim Anblick meines Porträts jemanden vor mir zu haben, der die
Geräusche der Welt nicht in sich eindringen lassen will. Lene, die taxierend
auf mich und das Porträt blickte, sagte: „Ja, das bist du, Jan, dir kannst du
nicht entkommen. In ihrer Stimme lag ein Ton des Bedauerns. „Und wie findest du
dich?“ fragte mich Cornelia, und ich darauf, nach abermaligem Prüfen: „Na ja“,
mehr fiel mir nicht ein. Lene ließ sich noch einmal den Zeichenblock geben,
fuhr mit dem Zeigefinger über meinen Mund, meine Augen und schüttelte den Kopf
und sagte: „Ob du es glaubst oder nicht, Jan, aber mit der Maske warst du ein
anderer.“ Ich war so erstaunt, daß ich sie nicht darum bat, ihr Urteil zu
begründen. Ich signierte mein Porträt, wie es Cornelia wünschte, gab es ihr
zurück und sagte: „Je länger ich mich anschaue, desto mehr erkenne ich mich.“
Cornelia sagte: „Das freut mich.“ Mir lag an Lenes abschließendem Urteil, doch
sie hatte kein Wort für das Porträt, sie stand auf und sagte nur: „Ich wünsche
gute Unterhaltung“, und dann ging sie, ohne uns die Hand zu geben. „Was hat
sie?“ fragte Cornelia, „verstehst du das?“ Ich konnte ihr nicht antworten, ich
blickte Lene nach in der Er-
    Wartung, daß sie sich noch einmal umwenden
und uns zuwinken
würde, einfach, weil es hier zum Abschied gehört, doch sie tat es nicht.
    Auch am nächsten und am übernächsten Tag sah ich
Lene nicht wieder, ich begegnete

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