Die Maske
ihr weder im Blinkfeuer noch in
der Werkstatt ihres Vaters, der mir nicht viel mehr sagen konnte, als daß sein
Mädchen - so nannte er sie - über einer Arbeit sitze und versuche, etwas ins
reine zu bringen. Es schien ihm nicht unangenehm zu sein, daß ich mich nach
Lene erkundigte, er war aber nicht bereit, sie aus ihrem Zimmer herauszurufen.
Ich mußte akzeptieren, daß er es ihr überließ, Entscheidungen für sich selbst
zu treffen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Aber dann kam der siebzigste Geburtstag von Opa
Klaas. Es war windstill, es war ein warmer Abend. In der Hoffnung auf Freibier
und ein Feuerwerk fanden sich viele ein, junge Leute zündeten ein Feuer aus
getrocknetem Schwemmholz an und sangen zur Gitarre. Das Boot der Küstenwache
glitt gemächlich vorbei und nahm Kurs auf die freie See.
Überrascht waren alle, als Timmsen auf der Terrasse
erschien, er, der wohl der wortkargste Mann auf der Insel war und den sie nur
den Knurrhahn nannten. Wo er auftauchte, war Gewalt nicht fern. Wie immer
begleitete ihn sein Hund, den er auch in seinem Boot mitnahm, wenn er zu den Stellnetzen
hinausfuhr. Arno nannte er ihn. Wie gelenkig dieser Hund war, hatte er uns
bereits mehrmals bewiesen, und offenbar wollte er auch am Geburtstag von Opa
Klaas ein Beispiel für seine Dressurkunst geben.
Mit einer straffen Bewegung lenkte er die
Aufmerksamkeit des Hundes auf sich und befahl: „Arno, begrüß die Gäste!“, und
nach kurzem Zögern erhob sich der Hund auf die Hinterbeine, nickte, probierte
eine Verneigung, die ihm allerdings nur halbwegs glückte, und schlug die Vorderpfoten
aufeinander. Kaum hatte Arno das Stück Würfelzucker verschluckt, das er zur
Belohnung erhielt, wurde ihm befohlen, seine Freude zum Ausdruck zu bringen: „Los,
Arno freut sich!“ Der Hund gehorchte, indem er kleine Sprünge machte und in
hoher Tonlage kläffte, im Unterschied zu dem Brummen, als ihm befohlen wurde: „Arno
ist müde und will schlafen.“ Wie gehorsam und überzeugend er sich ausstreckte.
Während Arno einen schlafenden Hund darstellte -
und dabei sogar unwillig ein Insekt vertrieb, das sich auf seine Schnauze
gesetzt hatte -, unterbrach einer der Gäste die gefällige Vorstellung. Es war
einer der Rheinländer, der sich ohne Ankündigung erhob, sein gefülltes Bierglas
nahm und es lachend über den Hund auskippte. Arno blinzelte, schoß hoch, bellte
den Rheinländer an, und gereizt durch Zurufe verbiß er sich in das Hosenbein
des Störers, zerrte und jaulte. Timmsen konnte dem Treiben seines Hundes nicht
gleichgültig zusehen, langsam stand er auf, und mit einer Ruhe, die bereits
Unheil ankündigte, war er mit wenigen Schritten bei dem Rheinländer und versetzte
ihm einen Schlag, der jeden von den Beinen geholt hätte. Weniger der Schlag als
vielmehr die Art, wie Timmsen danach seine Hände gegeneinanderrieb, so daß man
annehmen mußte, er habe sie sich schmutzig gemacht, schien die Zuschauer zu
empören. Sie protestierten, sie schimpften, sie drohten, ihr Zorn machte sie
beweglich; Timmsen konnte sich nur abducken unter den Schlägen. Es gab aber
auch einige, die sich bereitfanden, ihn zu verteidigen, und sich gegen die
Angreifer wandten, und da ihre Fäuste ihnen nicht genügten, griffen sie nach
allem, was sich ihnen anbot: Stühle und Gläser. Wie rasch da ein Stuhl
zerbrach, und wie handlich sich ein Stuhlbein erwies zur Bekräftigung der
eigenen Argumente. Gläser zerbrachen erst, wenn sie auf den Boden fielen. In
die heftigen Wutschreie mischten sich einzelne Schmerzensschreie, die einen
empfindlichen Treffer bezeugten. Interessiert sah ich der Auseinandersetzung
zu, und da ich sie nicht zum ersten Mal erlebte - beinahe an jedem zweiten
Wochenende konnte man im Blinkfeuer Zeuge solcher Unstimmigkeiten werden -, kam mir das
Ganze wie eine einstudierte Auffuhrung vor.
Auch Opa Klaas beobachtete eine Weile interessiert
die gewaltsamen Überzeugungsversuche, zählte wohl auch still mit, was da brach
und in Scherben ging, und als es ihm genug schien, entschloß er sich,
einzuschreiten. Mit einer Stimme, die sich wie der Ausläufer eines Sturms
anhörte, forderte er: „Friede, verdammt noch mal, Ruhe, aber gleich!“ Einmal
rief er auch: „Saubande, still jetzt!“ Da seine Ermahnungen und Appelle ohne
Wirkung blieben, entschloß er sich zu einer Handlung, die ich ihm nicht
zugetraut hätte: Er ging zu dem Schrank, in dem die konfiszierten Masken lagen,
schloß ihn auf, verharrte vor dem offenen Schrank und
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