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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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kleinen Jungen erscheinen, den er schon im ersten
Satz Sven nannte. Ich erfuhr, daß dieser Junge, obwohl er noch unsicher auf
den Beinen war, die Eigenschaften eines Entdeckers, eines Forschers erkennen
ließ, alles in der geräumigen Wohnküche mußte er erkunden, die Blumen auf dem
Fensterbrett, den Elektroherd und das Alltagsgeschirr hinter dem Vorhang. Wenn
es ihm gelang, einen Blumentopf auf den Boden zu werfen oder die immer gefüllte
Gießkanne umzustoßen, stieß er einen gellenden Laut aus, einen Jubellaut. Auch
im Laufgitter, das Sven unermüdlich vermaß, mußte er tätig werden, rüttelte,
zog und schlug, erprobte seine Kraft an einzelnen Stäben, bis er einsehen
mußte, daß er an eine Grenze gekommen war; da warf er sich hin und schrie und
weinte, weinte so bitterlich, als litte er unter Schmerzen. Weil Trostworte
ihn nicht beruhigten, griff Anja die beiden Puppen, das Kamel und den Schornsteinfeger,
und reichte sie in das Laufgitter hinein. Nach einem Augenblick der Bestürzung
nahm Sven die Puppen an sich, warf sie in eine Ecke des Laufgitters und setzte
sich zu ihnen und streichelte sie. Er lächelte, und nicht nur dies: Sven
streichelte die Puppen auch mit Worten.
    Fred Haller unterbrach seine Erzählung, so, als
erwartete er etwas von Anja, eine Bestätigung oder Zustimmung. Ich hob den Kopf
und wandte mich ihnen zu; sie hielten sich sehr fest bei den Händen, aufgehoben
in gemeinsamer Erinnerung. Daß es ihnen aber nicht genügte, länger in ihre
Erinnerung hinabzusteigen, wurde erkennbar, als Anja auf das Heft zeigte und
auffordernd nickte; sie bat darum, mehr über Sven zu erfahren, ihn deutlicher
werden zu lassen, ihren Sven, und die leise Stimme machte ihn wieder
gegenwärtig.
    Jetzt glaubte ich ihn vor mir zu sehen, den Schuljungen,
der schon früh die Neigung zeigte, Partei zu ergreifen, sich einzumischen,
angeblich bereits auf dem Schulhof, während einer Rauferei. Sven konnte nicht
teilnahmslos zusehen, wie ein Klassenkamerad gehänselt, gestoßen, mit Fäusten
geschlagen wurde, er nahm Partei für den besten Schüler der Klasse, obwohl er
selbst einmal zu Boden ging und seine Lippe blutete. Diese Schilderung ging
Anja so nahe, daß sie mehrmals „Nein“ sagte, „Nein, nein“, Fred Haller bemerkte
nur: „So war er.“ Daß Sven einmal sitzengeblieben war, erwähnte er fast
beiläufig, hob aber hervor, daß Svens Aufsatz über Möwen beim Schulfest vorgelesen
worden war, vor allen Klassen. Es entging mir nicht, daß Fred Haller bei seinen
Erzählungen bemüht war, Anja zu schonen, manchmal blätterte er in dem Heft
einfach weiter, verweilte aber offenbar, wenn er Besonderes zu erzählen hatte.
    Um seine Stimme zu verändern, versetzte er Sven auf
eine Schute, die fest vertäut gegenüber einer Werft auf der Elbe lag. Immer
schon hatte der alte schwarze Schleppkahn dort gelegen, nichts erinnerte mehr
an die Fracht, die er einst befördert hatte, man schien ihn vergessen zu haben.
Einige aber hatten ihn nicht vergessen, ein paar Halbwüchsige, junge Männer
ohne Arbeit, Zeitgenossen ohne festen Schlafplatz. Für sie war der Schleppkahn
ein Zuhause, hier fühlte man sich aufgehoben und feierte den Ort an jedem
Freitag mit Bier und Aquavit. Für sich entdeckte Sven den Ort, als er an einem
Kiosk den Auftrag übernahm, einige Getränke an Bord der Schute zu bringen, man
empfing ihn wie einen Wohltäter, betätschelte ihn, lud ihn ein, sich an einen
der Klapptische zu setzen. Er entschloß sich, ihre Einladung anzunehmen und
seine Leute zu Hause erst am nächsten Tag zu informieren. Zwei Nächte blieb er
auf der Schute, zusammengerollt schlief er auf einer Seegrasmatratze dicht
neben der Bordwand. Er hörte die Wellen gegen die Bordwand schlagen; und er
hörte die Signale der Schlepper und den tiefen gebieterischen Ton großer
Schiffe, die vorbeizogen.
    Nach einer kurzen Pause wandte Haller sich direkt
an Anja und sagte: „Sven liebte das Wasser, die Nähe des Wassers bedeutete ihm
viel, bei den Schulmeisterschaften kam er auf den zweiten Platz.“
    Mit einigen Gleichaltrigen willigte Sven in das
Spiel ein, zu dem sie die Phantasie an Bord der Schute überredete, sie
ernannten den schwarzen Lastkahn zu einer schnell segelnden Karavelle, warfen
die Leinen los, brachen zu einer Kaperfahrt in südlichen Gewässern auf, wo
große Beute winkte. Sven gab das Kommando zum Entern, er, dem alle, ohne zu
zögern, die Befehlsgewalt übertragen hatten. Er hatte die Gruppen eingeteilt,
für sich hatte

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