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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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festgestellt
habe. Als hätte er sich selbst ein Stichwort gegeben, deutete er auf einen
Hocker neben seinem Bett, auf dem mehrere Bücher lagen, und sagte: „Falls Ihnen
die Lektüre ausgeht.“ Um ihm für sein Angebot zu danken, bot ich ihm aus meiner
Schachtel mit gefüllten Pralinen an; er wählte eine Krokantkugel, aß sie
jedoch nicht gleich, sondern legte sie vor das Photo: „Für später!“ Für diese
Entscheidung entschuldigte er sich. Er entschuldigte sich auch bei der
Ankündigung, jetzt ein wenig schlafen zu wollen, er sei wenig zur Ruhe
gekommen in der letzten Zeit, er müsse etwas nachholen. Seufzend streckte er
sich aus und zog die Decke über seinen Kopf, warf sie aber bald unwillig ab,
denn nach einem Klopfzeichen wurde die Tür geöffnet und Schwester Pückler
schob den Servierwagen herein. Tee oder Kaffee gab es zur Auswahl, dazu warme
Berliner. Mit der Bemerkung „So, jetzt kommt etwas zur Belebung“ servierte sie
uns am Bett, was wir gewünscht hatten; Haller wollte auf seinen Berliner nicht
verzichten. Er lobte den mit Marmelade gefüllten Kuchen, gern nahm er auch
meinen an und ließ erkennen, welchen Genuß ihm das Gebäck bereitete. Bevor sie
ging, fiel der Schwester der wohl oft gebrauchte Satz ein: „Ich hoffe, es wird
Ihnen bei uns gefallen.“
    Die Ruhe, nach der es den Schriftsteller verlangte,
fand er nicht, denn wir blieben nicht lange allein. Kaum hatte er sich
ausgestreckt, da erschien eine Frau, die ich vom Photo her sogleich wiedererkannte,
sie hatte ein besonderes Klopfzeichen gebraucht, das mir wie ein familiärer
Code vorkam, dreimal rasch geklopft und danach zweimal nach einer kleinen
Pause. Sie sah gut aus, obwohl ein Ausdruck von Sorge auf ihrem Gesicht lag.
Sie nickte mir nur kurz zu, murmelte einen Gruß und trat an das Bett meines
Nachbarn und sagte: „Fred, mein armer Fred.“ Nachdem sie den kleinen Strauß auf
den Nachttisch gelegt hatte, beugte sie sich über den Schriftsteller, küßte und
streichelte ihn und suchte dann erst ein Glas für die Veilchen. Sie fand es im
Badezimmer. Dann musterte sie ihn mit einem langen forschenden Blick, nahm
seinen Kopf in beide Hände und betastete die Halsstütze. Auf ihre Frage „Schmerzen?“
sagte er nur: „Erträglich, Anja“, und leise: „Die Tropfen haben geholfen!“ Ihre
Blicke ineinander verloren, schwiegen sie eine Weile, vermutlich nicht wegen
meiner Gegenwart, sondern weil es zuviel zu erzählen gab und sie über die
Schwierigkeiten eines Anfangs hinwegkommen mußten. Als Anja zu schluchzen
begann, nahm er ihre Hand und legte sie an seine Wange. Beruhigend sprach er
jetzt auf sie ein, mit geflüsterten Worten, die ich kaum verstand, die sie aber
erreichten und anscheinend besänftigten. Es waren, wie ich an dem Klang seiner
Stimme zu hören glaubte, Worte des Mitleids. Deutlich hörte ich aber seine
Frage: „Sven, nicht, du denkst an Sven?“ Sie antwortete nicht direkt,
schluchzte aber einmal heftig auf und bestätigte so, was er wissen wollte.
    Nachdenklich saß er da, ich konnte ihm ansehen,
daß er etwas erwog, wieder verwarf, schließlich aber, in gewonnenem
Einverständnis mit sich, nickte und aus der Schublade seines Nachttisches ein
Heft herausholte, ein gewöhnliches Schulheft. Er hielt es ihr entgegen. Als sie
es nehmen wollte, zog er es zurück und verbarg es einen Augenblick hinter
seinem Rücken. Er sagte: „Noch nicht, Anja“, und nach einer Pause: „Es ist noch
nicht fertig, nur zur Sicherheit hingeschrieben, damit uns einiges nicht
abhanden kommt; wir verlieren so viel, unversehens.“
    „Dann lies mir etwas vor“, sagte sie, „das hast du
doch oft getan.“ Haller zündete eine Zigarette an, inhalierte ein paarmal und
gab die brennende Zigarette wie aus Gewohnheit an Anja weiter, die sie gegen
mich hielt und fragte: „Es stört Sie doch hoffentlich nicht?“
    „Wir beide haben hier Raucherlaubnis“, sagte ich, „allerdings
bei offenem Fenster.“ Ich drehte mich zur Seite, so, daß ich ihnen den Rücken
zukehrte, und legte mein Gesicht auf den Ellenbogen - ein anderes Zeichen der
Diskretion fiel mir nicht ein. Haller schien nach einem Text zu suchen, den er
für geeignet hielt, jetzt vorgelesen zu werden, geräuschvoll blätterte er in
dem Heft vor und zurück, entschied sich dann: „Ja, alles hat seinen Anfang,
auch für Sven, für unseren Sven. Das Laufgitter, er und wir und das Laufgitter.“
    Mit leiser Stimme, die aber immer deutlicher, immer
fester wurde, ließ er einen

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