Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
Vom Netzwerk:
gehe!»
    Auf sexuellem Gebiet steht es nicht besser, weil Benjamin keine Lust mehr hat, mit ihr zu schlafen. Bisweilen versucht sie, darüber zu sprechen:
    «So können wir doch nicht weiterleben!»
    «So ist das nun mal, man kann nicht auf Kommando mit jemandem ins Bett gehen.»
    «Was können wir tun? Was kann ich tun?»
    «Es gibt nicht für alles eine Lösung! Du willst alles schulmeistern!»
    Wenn sie sich ihm nähert, um ihn liebevoll zu umarmen, leckt er ihre Nase. Wenn sie protestiert, macht er sie darauf aufmerksam, daß sie wahrhaftig keinerlei Sinn für Humor habe.
    Was hält Annie zurück?
    Wäre Benjamin ein reines Ungeheuer, so wäre alles einfacher; aber er ist ein zärtlicher Liebhaber gewesen. Wenn er jetzt so ist, so heißt das, daß es ihm schlecht geht. Er kann sich also ändern. Sie lauert auf diese Änderung. Sie hegt die Hoffnung, daß eines Tages das Knäuel sich entwirrt und daß sie endlich miteinander reden könnten.
    Sie fühlt sich für die Veränderung Benjamins verantwortlich: Er hatte nicht ertragen, daß sie deprimiert war. Ebenso fühlt sie sich schuldig, nicht reizvoll genug zu sein (er hatte sich eines Tages vor Freunden lustig gemacht über Annies unattraktive Kleidung), nicht gut genug (sie sei nicht großzügig), um Benjamin glücklich zu machen.
    Sie sagt sich auch, es sei wohl weniger schwer, diese unbefriedigende Paarbeziehung fortzusetzen, als sich allein wiederzufinden; denn Benjamin hatte ja gesagt: «Wenn wir uns trennen, würde ich sofort wieder jemanden finden, aber Du mit deinem Hang zur Zurückgezogenheit, Du wirst mutterseelenallein bleiben!» Und sie hatte es geglaubt. Auch wenn sie weiß, daß sie viel geselliger ist als Benjamin, bildet sie sich ein, allein wäre sie nur wieder deprimiert und würde alles ewig bereuen.
    Sie weiß außerdem, daß ihre Eltern ebenfalls in einer unbefriedigenden Partnerbeziehung stecken, aber aus Pflichtgefühl zusammengeblieben sind. Bei ihr zu Hause war die Gewalt stets gegenwärtig, aber verschleiert; denn es handelte sich um eine Familie, in der man die Dinge nicht beim Namen nannte.
     
     
    Die Gewalt
     
    Die perverse Gewalt kommt in Krisenmomenten zum Vorschein, wo ein Individuum mit perversen Verteidigungsmechanismen nicht imstande ist, die Verantwortung für eine schwierige Wahl auf sich zu nehmen. Sie zeigt sich in diesem Fall indirekt, vor allem in der Nichtachtung des anderen.
     
    Monique und Lucien sind seit dreißig Jahren verheiratet. Lucien hat seit sechs Monaten ein Verhältnis. Als er es Monique gesteht, sagt er, er könne sich nicht entscheiden. Er möchte mit ihr zusammenbleiben, aber parallel dazu die neue Beziehung fortführen. Monique lehnt mit Entschiedenheit ab. Ihr Mann verläßt sie.
    Monique ist am Boden zerstört. Sie weint die ganze Zeit, schläft nicht mehr, ißt nicht mehr. Sie weist psychosomatische Zeichen von Angst auf. Gefühle von kaltem Schweiß, Kloß im Magen, Tachykardie... Sie ist zornig, aber nicht über ihren Mann, der sie leiden läßt, sondern über sich selbst, die es nicht versteht, ihn zu halten. Könnte Monique Zorn gegenüber ihrem Mann empfinden, fiele es ihr leichter, sich zu wehren. Aber um Zorn zu empfinden, muß man schon bereit sein zuzugeben, daß der andere aggressiv ist und gewalttätig, was dazu führen kann, seine Rückkehr nicht mehr zu wünschen. Wenn man sich in einem Schockzustand befindet wie Monique, so ist es leichter, die Wirklichkeit der Fakten zu leugnen und zu hoffen; selbst wenn diese Hoffnung aus Schmerzen gefügt ist.
    Lucien bittet Monique, weiter regelmäßig mit ihm zu frühstücken, um die Bindung aufrecht zu erhalten; andernfalls bestünde die Gefahr, daß er für immer fortginge. Wenn sie sich entfernt, vergißt er sie. Wenn sie sich deprimiert zeigt, hat er keine Lust mehr, mit ihr zusammenzubleiben. Auf Anraten seines Psychoanalytikers schlug er Monique sogar vor, seine Freundin zu treffen, um miteinander «ins Gespräch zu kommen»!
    Nicht für einen Moment hat man den Eindruck, daß er sich je gefragt hat, was er seiner Frau antut. Er sagt nur, er habe genug, sie mit dieser Leichenbittermiene herumlaufen zu sehen. Indem er seiner Frau Schuldgefühle einredet, weil sie nicht tut, was nötig wäre, um ihn zu halten, entlastet sich Lucien von der Verantwortung für die Trennungsentscheidung.
     
    Die Weigerung, die Verantwortung für das Scheitern der Ehe auf sich zu nehmen, steht oft am Anfang eines perversen Umkippens. Jemand, der ein hohes

Weitere Kostenlose Bücher