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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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glaubt, daß er es erwartet. Sie vermeidet es, auf etwas zu beharren und ändert ihre Gewohnheiten.
    Ihre Begegnung entwickelt sich also nach dem Muster: Er weiß – sie zweifelt. Sie findet es beruhigend, sich an die Gewißheiten eines anderen anzulehnen. Er spürt, daß sie fügsam ist und bereit, seine Gewißheiten anzunehmen.
    Von Anfang an hat Paul sich stets sehr kritisch gegenüber Anna gezeigt. Er geht vor mit kleinen destabilisierenden Seitenhieben, mit Vorliebe in der Öffentlichkeit, bei einer Gelegenheit, wo sie nichts entgegnen kann. Wenn sie versucht, später wieder darauf zurückzukommen, sagt er kühl, sie sei nachtragend und mache wegen jeder Kleinigkeit Theater. Das geht von einer Nichtigkeit aus, selbst einer intimen, die Paul mit Übertreibung schildert, wobei er sich bisweilen in Gesellschaft einen Verbündeten sucht: «Finden Sie nicht, daß Anna vorsintflutliche Musik hört?» «Sie wußten wohl nicht, daß sie Geld ausgibt, um sich Cremes zu kaufen zur Straffung von Brüsten, die praktisch nicht vorhanden sind!» «Sie hat das nicht begriffen! Dabei versteht das doch jeder!»
    Wenn sie zum Wochenende mit Freunden wegfahren, zeigt er Annas Tasche vor und sagt: «Sie hält mich für einen Möbelspediteur! Warum nicht auch noch die Badewanne?»
    Wenn Anna protestiert: «Was kann Dir das ausmachen, ich trage meine Tasche selbst!» erwidert Paul: «Ja, aber wenn Du müde wirst, wäre ich genötigt, sie zu tragen, wenn ich nicht wie ein Flegel dastehen will. Du brauchst nicht drei Lippenstifte und zwei Kleider zum Wechseln!»
    Anschließend folgen Verallgemeinerungen über die Hinterhältigkeit der Frauen, die die Männer immer irgendwie dazu bringen, ihnen zu helfen.
    Ihm kommt es darauf an, Anna in Verlegenheit zu bringen. Sie nimmt die Feindseligkeit wahr, ist sich aber nicht sicher, denn Paul sagt das alles in scherzhaftem Ton, als spaße er. Die Feindseligkeit wird von der Umgebung nicht zwangsläufig wahrgenommen, und Anna kann nicht widersprechen, ohne als humorlos zu erscheinen.
    Paul ist um so kritischer, wenn Anna in einer überlegenen Position ist, zum Beispiel, wenn ihr jemand ein Kompliment macht. Sie weiß sehr genau, daß er Komplexe hat angesichts ihrer Ungezwungenheit in Gesellschaft und auch wegen der Tatsache, daß sie beruflich erfolgreicher ist und mehr verdient als er. Wenn er sie kritisiert, setzt er hinzu: «Das ist kein Vorwurf, nur eine simple Feststellung.»
    Die Gewalt tritt offen zutage, als Paul beschließt, sich freiberuflich niederzulassen mit einer jungen Teilhaberin. Seine strategischen Machenschaften, um Anna zu destabilisieren, werden unverhohlener.
    Das zeigt sich zunächst in ständiger schlechter Laune, die er mit Organisationsproblemen und finanziellen Sorgen begründet. Meist kommt er abends kurz vor Anna nach Hause und macht es sich mit einem Glas vor dem Fernsehapparat bequem. Wenn Anna heimkehrt, antwortet er nicht auf ihr «Guten Tag!» sondern fragt, ohne den Kopf zu wenden: «Was gibt’s zu essen?» (Ein klassisches Manöver, die schlechte Laune auf den anderen zu übertragen!)
    Er macht keine direkten Vorwürfe, sondern läßt nur einen kleinen, harmlosen Satz fallen, den man dann deuten muß; denn er ist in vorwurfsvollem Ton gesprochen. Versucht Anna, klar auszudrücken, was gesagt wurde, entzieht er sich und streitet jegliche aggressive Absicht ab.
    Er beginnt, sie «Oma» zu nennen. Als sie sich darüber beschwert, ändert er den Spitznamen in «dicke Oma» und bemerkt: «Da Du nicht dick bist, kannst Du es nicht auf Dich beziehen!»
    Wenn sie versucht, über ihr Leid zu sprechen, stößt Anna auf eine Mauer. Er blockt ab, sie beharrt, er wird noch hartherziger. Irgendwann fährt sie aus der Haut, und nun kann Paul ihr nachweisen, daß sie eine aggressive, keifende Alte ist. Es gelingt ihr nie, hinreichend Abstand zu gewinnen, um eine Gewaltsamkeit zu entschärfen, die sie nicht begreift.
    Im Unterschied zum klassischen Ehekrach findet nicht wirklich ein Zusammenstoß statt, aber es gibt auch keine mögliche Versöhnung.
    Paul wird nie laut. Er legt nur frostige Feindseligkeit an den Tag, die er in Abrede stellt, wenn man ihn darauf aufmerksam macht. Angesichts dieser Unmöglichkeit, miteinander einen Dialog zu führen, regt Anna sich auf und schreit. Dann macht er sich lustig über ihre Wut: «Beruhige Dich, mein armer Liebling!», und sie fühlt sich lächerlich.
    Das Wesentliche spielt sich in ihren Blicken ab. Blicke voller Haß bei Paul,

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