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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Idealbild von der Ehe hat, pflegt scheinbar normale Beziehungen zu seinem Partner, bis zu dem Tag, wo er die Wahl treffen muß zwischen dieser Beziehung und einer neuen Bekanntschaft. Die perverse Gewalt wird um so stärker sein, je großartiger die Idealvorstellung vom Paar war. Es ist unmöglich, diese Verantwortung anzuerkennen, die ganz und gar vom anderen getragen werden muß. Wenn die Liebe schwindet, wird der Partner dafür verantwortlich gemacht, wegen eines Fehlers, den er begangen haben soll, der aber nicht benannt wird. Dieses Schwinden der Liebe wird zumeist wortreich geleugnet, während es seine Wirkung längst schon getan hat.
    Das Bewußtwerden der Manipulation kann das Opfer nur in einen furchtbaren Angstzustand versetzen, den es nicht loszuwerden vermag, weil ihm der Gesprächspartner fehlt. Zusätzlich zum Zorn empfinden die Opfer in diesem Stadium auch noch Schmach: die Schmach, nicht geliebt worden zu sein, die Schmach, diese Demütigungen geduldet zu haben, die Schmach, sich gefügt zu haben.
    Mitunter handelt es sich nicht um eine vorübergehende perverse Anwandlung, sondern um das Zutagetreten einer bis dahin verborgenen Perversität. Der Haß, der versteckt war, kommt ans Licht, nahe verwandt einem Verfolgungswahn. So sind die Rollen vertauscht, der Aggressor wird der Angegriffene, und die Schuld bleibt immer auf derselben Seite. Damit das glaubwürdig ist, muß man den anderen herabsetzen, indem man ihn zu einem tadelnswerten Benehmen treibt.
     
    Anna und Paul, beide Architekten, begegnen sich bei der Arbeit. Sehr rasch trifft Paul die Entscheidung, sich bei ihr häuslich niederzulassen, aber er achtet darauf, gefühlsmäßig Abstand zu wahren, um sich nicht wirklich zu binden. In der Öffentlichkeit verweigert er liebevolle Worte, zärtliche Gesten und mokiert sich über Verliebte, die Händchen halten.
    Paul hat große Schwierigkeiten, etwas Persönliches auszudrücken. Er erweckt den Eindruck, sich pausenlos lustig zu machen, äußert bissige Bemerkungen über alles, zieht alles ins Lächerliche. Diese Strategie erlaubt ihm, sich zu verstecken und sich auf nichts einzulassen.
    Er schwingt auch extrem frauenfeindliche Reden: «Die Frauen berauben die Männer ihrer Kraft, sind oberflächlich, unausstehlich, aber man kommt nicht ohne sie aus!»
    Anna hält die Gefühllosigkeit Pauls für Feingefühl, seine Starrköpfigkeit für Kraft, seine heimlichen Vorbehalte für Wissen. Sie glaubt, Liebe werde ihn erweichen, er werde sich weniger hartherzig zeigen, wenn ihm das Leben in der Paarbeziehung erst einmal Mut eingeflößt habe.
    Zwischen Paul und Anna bürgert sich die stillschweigende Regel ein, man dürfe nicht zuviel Intimität zur Schau stellen. Anna akzeptiert diese Regel, rechtfertigt sie und heißt sie gut. Da ihr Wunsch nach einer engeren Beziehung stärker ist als der Pauls, ist es an ihr, die nötigen Anstrengungen zu unternehmen, damit die Beziehung andauert. Paul begründet seine Härte mit einer schwierigen Kindheit, umgibt sich mit der Aura des Geheimnisvollen, indem er nur Teilauskünfte beibringt, die sich auch noch widersprechen: «Niemand hat sich um mich gekümmert, als ich klein war. Wenn da nicht meine Großmutter gewesen wäre, die mich aufnahm...». «Mein Vater ist womöglich gar nicht mein Vater!»
    Indem er sich sofort als Opfer darstellt, bringt er Anna dazu, ihn zu bemitleiden und ihm mehr Anteilnahme beziehungsweise Nachsicht entgegenzubringen. Sie, die es dermaßen drängte, sich heilend zu betätigen, ist sogleich gefangengenommen von diesem kleinen Jungen, den es zu trösten gilt.
    Er gehört zu jenen Menschen, die «Bescheid wissen». Er hat ausgeprägte Meinungen zu allem: der Politik, der Zukunft der Welt, wer ein Blödmann ist und wer nicht, was man tun muß und was nicht... Meistens gibt er nur zu verstehen, daß er Bescheid weiß, indem er einen Satz anfängt, den er in der Schwebe läßt, oder indem er nur schweigend mit dem Kopf nickt.
    Mit sehr großer Geschicklichkeit dient er Annas Unsicherheit als Spiegel. Anna ist jemand, der zweifelt. Da sie ihrer selbst nicht sicher ist, urteilt sie nicht über andere, sondern findet für sie im Gegenteil mildernde Umstände, egal, was sie tun. Sie versucht immer, ihre Meinung nuanciert vorzubringen, was für Paul nur heißt, sich das Leben schwer zu machen. In Gegenwart Pauls glättet Anna ihre eigenen Ecken und Kanten, um stärker mit dem übereinzustimmen, was er von ihr erwartet, oder eher: mit dem, wovon sie

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