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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Blicke voller Furcht und Vorwurf von Anna.
    Das einzige konkrete Faktum ist die sexuelle Verweigerung Pauls. Wenn sie ihn bittet, darüber zu sprechen, ist es nie der geeignete Moment. Abends ist er todmüde, am Morgen hat er es eilig, tagsüber hat er zu tun. Sie beschließt, ihn zu stellen, indem sie ihn ins Restaurant einlädt. Dort beginnt sie, über ihren Kummer zu sprechen. Paul unterbricht sie sofort; eisig und wütend sagt er: «Du wirst mir ja wohl keine Szene machen hier im Restaurant! Vor allem über ein derartiges Thema! Du hast wirklich kein Benehmen!»
    Anna beginnt zu weinen, was Paul in Rage versetzt: «Du bist nichts als eine depressive Person, die unaufhörlich meckert!»
    Später dann rechtfertigt er sich anders: «Wie soll man mit dir schlafen, Du bist ein Graus, eine kastrationsversessene Megäre!»
    Später geht er sogar so weit, ihr den Terminkalender zu entwenden, der für ihre Buchführung wichtig ist. Anna sucht zunächst, fragt dann Paul, ob er ihn gesehen habe: niemand sonst hat den Raum betreten, sie ist sicher, daß sie den Kalender dort gelassen hat. Paul antwortet, daß er ihn nicht gesehen habe und daß sie ihren Kram eben besser aufräumen müsse. Sein Blick ist derart haßerfüllt, daß sie sich starr fühlt vor Furcht, wie vom Blitz getroffen. Sie begreift, daß es tatsächlich er ist, der ihn weggenommen hat, aber sie hat zuviel Furcht vor der nun offensichtlichen Gewalt, die ja ausbrechen könnte, wenn sie nicht einen Rückzieher macht.
    Das Schlimmste ist, daß sie nicht versteht. Sie sucht nach Erklärungen: Will er ihr nur offen schaden, sie in Schwierigkeiten bringen? Ist es Neid? Das Bedürfnis zu kontrollieren, ob sie mehr arbeitet als er? Oder hofft er, in diesem Notizbuch einen Schnitzer zu finden, den er bei geeigneter Gelegenheit gegen sie ausspielen kann?
    Was sie aber fühlt – und daran besteht kein Zweifel –, ist die böse Absicht. Dieser Gedanke ist so furchtbar, daß sie ihn verjagt, sich weigert, daran zu glauben. Und nun wird aus der Furcht physische Angst, die sie jedesmal wieder überkommt, wenn sie diesem Blick begegnet.
    Während dieses Stadiums spürt Anna ganz deutlich, daß Paul sie vernichten will. Anstatt ihr wohldosiert Arsen in den Kaffee zu tun, wie in den englischen Kriminalromanen, versucht er, sie psychologisch zu zerbrechen.
    Um Annas Leid von sich fernzuhalten, hat er sie in eine Sache verwandelt. Er betrachtet sie kühl, ohne Gemütsregung. Unter diesen Umständen erscheinen ihre Tränen natürlich lächerlich. Anna spürt deutlich, daß sie für Paul nicht existiert. Ihr Schmerz und ihre Tränen werden nicht verstanden, besser gesagt: sie existieren nicht. Das ewige Scheitern von Gesprächen löst bei ihr Wutanfälle aus, die sich, weil sie sich nicht entladen können, in Ängste umwandeln. Sie versucht zu sagen, daß sie diesem täglichen Leiden eine Trennung vorziehe, aber dieses Thema kann sie ja nur in den Krisenmomenten anschneiden, in denen sie, ganz gleich, was sie sagen mag, ohnehin kein Gehör findet. Die übrige Zeit hält sie sich zurück, um nicht ausgerechnet die wenigen Augenblicke, in denen das Leben noch erträglich ist, mit zusätzlicher Spannung aufzuladen.
    Nun versucht sie es mit Briefen. Sie sucht ihm den Schmerz, den diese Situation ihr bereitet, verständlich zu machen und ihren Wunsch, eine Lösung zu finden. Beim ersten Mal, nachdem sie den Brief auf Pauls Schreibtisch gelegt hat, wartet sie, daß er mit ihr darüber spricht. Da er nichts sagt, wagt sie ihn zu fragen, was er davon hält. Er antwortet kühl: «Dazu habe ich nichts zu sagen!» Anna sagt sich, daß sie wohl nicht hinreichend deutlich gewesen sei. Sie schreibt ihm einen längeren Brief, den sie am nächsten Tag im Papierkorb wiederfindet. Erregt versucht sie, eine Erklärung zu erhalten. Er schleudert ihr entgegen, einer Zicke brauche er nicht zu antworten.
    Egal, was sie unternimmt, man schenkt ihr kein Gehör. Ist ihre Ausdrucksweise nicht die richtige? Von diesem Tag an fertigt sie Photokopien der Briefe, die sie an ihn richtet.
    Paul ist unempfindlich für Annas Leid, er nimmt es nicht einmal wahr. Dies ist unerträglich für Anna, die, verängstigt, noch ungeschickter wird. Ihre Versehen werden als Fehler gedeutet, die man korrigieren muß, was Gewalt rechtfertigt. Sie ist einfach gefährlich für ihn! Also muß sie «gebrochen» werden.
    Angesichts dieser wechselseitigen Gewalt besteht Pauls Reaktion im Ausweichen, die Annas in stereotypem

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