Die McDermotts 01 - Niemals
musste Joyce lächeln. »Nein, das brauchst du nicht, ich glaube, er leidet schon genug.«
»Dieser Schafskopf«, schimpfte Rose, »warum will er nicht sehen, dass du die Richtige für ihn bist?«
»Callan ist der Meinung, dass
er
nicht der Richtige
für
mich
ist«, sagte Joyce trübsinnig.
»Joyce, willst du nicht …«
»Nein«, fiel sie Rose hastig ins Wort, »nein. Ich habe ihm gesagt, dass ich gehen werde und dabei bleibt es. Es ist besser für uns beide, wir sollten uns nicht unnötig quälen. – Und jetzt lass uns bitte das Thema wechseln, ich möchte nicht mehr darüber sprechen.«
Es dauerte nicht lange, bis Joyce alles gepackt hatte. Sie saß noch einen Augenblick mit ihrer Großmutter im Wohnzimmer, dann war es Zeit, sich zu verabschieden.
»Alles Gute, Liebes, und bestell deinem Vater schöne Grüße von mir.«
»Mache ich«, nickte Joyce. Sie umarmte Rose und fügte leise hinzu: »Bitte pass gut auf Callan auf.«
»Natürlich«, versprach Rose, »du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
Der Taxifahrer lud Joyces Koffer ein, sie schob sich auf den Beifahrersitz, winkte ihrer Großmutter noch einmal zu. Der Wagen setzte sich in Bewegung und wenig später war die Ranch hinterm Horizont verschwunden.
Joyce.
Alles roch nach ihr. Sein Hemd. Die Decke. Das Kissen.
Alles schmeckte nach ihr. Der Whiskey. Die Zigaretten. Sogar die alten Kekse.
Alles in ihm schrie nach ihr. Sein Körper. Sein Herz. Sein Kopf.
Bilder tauchten auf.
Er sah, wie sie ihn frech angrinste, nachdem sie ihm das Chili unters Essen gemischt hatte.
Er sah, wie sie ihn wütend anfunkelte, über und über mit Schlagsahne beschmiert.
Er sah, wie sie unbeschwert lachte, während sie mit ihm durch die Ausstellung lief.
Er sah, wie sie schutzlos und vertrauensvoll in seinen Armen lag, sah den Ausdruck in ihren Augen, als sie ihm zum ersten Mal das schenkte, was sie nie zuvor jemandem gegeben hatte.
Der Schmerz zerriss ihn förmlich. Er hieb mit der Faust gegen die rauen Steine des Kamins, immer und immer wieder, so fest, dass er sich die Haut aufschürfte, doch selbst das konnte die Qual in seinem Inneren nicht überdecken. Schließlich sackte er auf den Boden, zündete sich eine Zigarette an und griff nach der Whiskeyflasche.
»Die Passagiere des Fluges DA 2068 nach New York werden zum Flugsteig 2 gebeten«, ertönte eine monotone Frauenstimme aus den Lautsprechern in der Halle des kleinen Flughafens in Crystal City. »All passengers booked on flight …«
Joyce achtete schon gar nicht mehr richtig darauf. Mit schwerfälligen Bewegungen griff sie nach der Tasche, die sie als Handgepäck mitführte, und schleppte sich in Richtung des Gates.
»Hey Mann, sind Sie noch zu retten?«, hörte sie ganz weit entfernt eine wütende Männerstimme rufen.
Ohne sich darum zu kümmern, reihte sie sich in die Schlange der anderen Passagiere ein, die darauf warteten, dass die Absperrung geöffnet wurde. Irgendein gleichförmiges Geräusch ertönte, eine Art Klappern, es wurde lauter, kam immer näher. Das Absperrband wurde beiseitegeschoben, die Fluggäste drängten sich durch den Ausgang hinaus aufs Flugfeld, Joyce mitten unter ihnen. Sie war ganz weit weg mit ihren Gedanken, überlegte, ob sie sich bei Perry noch einmal nach dem Fotoshooting erkundigen sollte. Noch war sie schlank genug, um die Fotos machen zu können und sich so ein wenig Geld zu verdienen. Sie könnte die Gage gut gebrauchen, sie benötigte eine größere Wohnung und musste etliche Sachen für das Baby anschaffen. Mühsam versuchte sie, sich auf zukünftige, wichtige Dinge zu konzentrieren. Dinge, die den Schmerz verdrängten. Dinge, die sie nicht an Callan erinnerten. Doch sie stellte augenblicklich fest, dass das unmöglich war. Sie trug sein Kind unter dem Herzen, wie konnte sie da nicht an ihn denken?
Irgendwo hinter ihr schrie eine Frau auf, Leute schimpften, aber sie nahm es überhaupt nicht wahr. Geistesabwesend steuerte sie auf die Gangway zu, die am Eingang des Flugzeugs angedockt war. Gerade wollte sie die erste Stufe betreten, als ein Seil heranflog, sich um ihren Körper zuzog und sie stoppte. Erschrocken ließ sie ihre Tasche fallen und drehte sich um. Ihre Augen weiteten sich, sie glaubte, zu träumen.
»Callan«, murmelte sie ungläubig, fest davon überzeugt, dass ihr überreiztes Gehirn ihr einen makabren Streich spielte.
»Sag mal Sprosse, hast du eigentlich Blumenkohl in den Ohren?«
Nein, es gab keinen Zweifel. Das war Callan, der dort auf
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