Die Medica von Bologna / Roman
vor ihnen. Bella und die anderen sagen auch, ich soll nicht rausgehen.«
Meine Mutter setzte sich und zog mich auf ihren Schoß. »Hör mal, meine Kleine, wie alt bist du jetzt?«
»Ich werde schon sieben«, sagte ich stolz.
»Richtig. Da bist du alt genug, um zu wissen, dass Puppen nicht sprechen können. Sie sind nett und hübsch anzusehen, aber wenn man es genau nimmt, sind sie nur Spielzeug. Das hast du doch sicher schon selbst bemerkt, oder?«
Ich antwortete nicht. Natürlich hatte ich mich schon gefragt, warum meine Gefährtinnen nicht so lebendig waren wie eine Katze oder ein Hund, die sich aus eigener Kraft bewegten, die miauten oder bellten, die fraßen, wenn sie hungrig waren, gähnten, wenn sie müde waren, oder fortliefen, wenn ihnen der Sinn danach stand. Aber ich hatte diese Überlegungen immer unterdrückt, weil ich unbedingt glauben wollte, dass Bella und meine anderen Lieblinge lebten. Nun sollten sie plötzlich nur noch Gegenstände sein? Tote Gegenstände? Meine Lippen begannen zu zittern, Tränen traten mir in die Augen.
»Aber, aber, meine Kleine«, sagte meine Mutter, »wer wird denn gleich weinen. Du bist doch schon ein großes Mädchen, oder?«
Ich schniefte und nickte.
»Na siehst du.« Sie schaute mich wieder mit jenem Blick an, den ich schon öfter an ihr beobachtet hatte. Es war ein Blick, in dem Zuneigung und Liebe lagen, aber auch Sorge und Zweifel. »Vielleicht«, sagte sie, »ist es gar nicht so wichtig, mit den Nachbarskindern zu spielen, vielleicht ist es sogar besser, es zu lassen.«
»Bestimmt, Mamma«, sagte ich.
»Hör mal, meine Kleine, ich würde dich gern in eine Schule schicken, damit du lesen und schreiben lernst, aber eine Schule kostet Geld, sehr viel Geld …«
»Ich will nicht zur Schule!«
»Hm, das dachte ich mir. Ich könnte dich auch zu Pater Edoardo von der Gemeinde San Salvatore schicken. Sein Gotteshaus San Rocco steht nicht weit von hier in der Via delle Lame. Hochwürden erwartet für seinen Unterricht nur ab und zu eine kleine Spende und ist im Übrigen sehr freundlich …«
»Ich will nicht!«
»Nun«, sagte meine Mutter, und fast schien es mir, als sei ihr meine Weigerung nicht unrecht, »dann ist es vielleicht am besten, wenn ich selbst dir Unterricht erteile. Ich würde dann auch nicht mehr so oft von zu Hause fort sein. Willst du das?«
»Ja, Mamma!«, rief ich begeistert. »Das will ich.«
»Dann werden wir es so machen.«
Doch einige Zeit später, man schrieb noch das Jahr 1558, hatte meine Mutter mehrere Aufträge, die häufig ihre Anwesenheit in der Stadt erforderten. So kam es, dass sie ihr Versprechen nicht einlösen konnte. Viele Tage hoffte ich, sie würde bei mir bleiben und mit dem Unterricht beginnen, und viele Tage wurde meine Hoffnung enttäuscht. Wie zuvor blieben mir nur Bella und ihre Gefährtinnen, deren Lebensfunke allerdings erloschen war und deren Gesellschaft mir deshalb nicht mehr so viel bedeutete. Statt mit ihnen zu spielen, lief ich im Haus umher und stand immer öfter vor der Tür zu dem Zimmer, das meiner Mutter als Schneiderwerkstatt diente.
An diesem Tag war sie nicht verschlossen.
Mit klopfendem Herzen drückte ich die Klinke nach unten und ging hinein. Der Raum war groß und hell. In der Mitte stand ein Tisch, der Schneidertisch meiner Mutter. Als ich ihn sah, trat plötzlich ein Bild vor meine Augen, das mir bekannt vorkam: Zwei Frauen standen da, die sich stritten, und eine der Frauen schleuderte eine große rote Wolke in meine Richtung. Unwillkürlich sprang ich einen Schritt zurück. Ich wusste, dass ich kein Trugbild gesehen hatte. Vor langer Zeit war ich schon einmal in diesem Raum gewesen. Ich blickte mich um und fragte mich, warum meine Mutter mir den Zutritt so lange verwehrt hatte. Ich fand keine Antwort, denn alles sah noch genauso aus, wie es in meinem Gedächtnis gespeichert war: die zwei hölzernen, sich gegenüberstehenden Schneiderbüsten, die Stoffballen auf dem Beistelltisch, die Zuschnitte, die Garnrollen, die Nadeln, die Scheren, die Schachteln für Knöpfe, Bänder, Spitzen und mancherlei mehr.
Und dann sah ich einen großen Spiegel und erblickte etwas, das ich noch nie zuvor gesehen hatte: mich selbst.
Mich selbst und mein Gesicht.
Man sagt, kein Tier dieser Welt könne erkennen, wenn der Spiegel ihm sein eigenes Abbild zeigt. Ich aber wusste sofort, dass ich es war, die da mit zaghaften Schritten auf sich selbst zuging. Staunend betrachtete ich mich. Ich war nicht sehr groß
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