Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu
selbst kam aus der Hauptstadt, wo Hochhäuser die Landschaft beherrschten, herausgeputzte Frauen und gestylte Männer durch die Straßen flanierten und für Geld alles zu haben war. Doch nur einige hundert Kilometer weiter gab es einen Ort, an dem ein Ritual praktiziert wurde, das einen die Gegenwart vergessen ließ. Ob ihm das in Tokio jemand glauben würde?
Als Erstes stand die Begrüßung durch den Schuldirektor auf dem Programm. In festlichem Anzug stand er auf dem Podest,
das sonst für den täglichen Morgenappell der Schule diente. »Für drei Jahre wurde ich hier auf diese Insel versetzt, und ich hätte es in meinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten, dass mir die Ehre zuteil wird, an einem solchen Tag das Wort an euch richten zu dürfen. Jemand, der im nächsten Frühling schon wieder die Insel verlassen wird, hat eigentlich gar kein Recht, sich einzumischen. Deswegen sage ich nur eins: Hauptsache, keine Verletzungen! Und damit erkläre ich den einundfünfzigsten Wettkampf im Stangenstürzen auf der Insel Senju für eröffnet!«
Erneut brandete Applaus auf, und Beifallsrufe wurden laut. Die Worte des Direktor waren ehrlich und entschlossen. Man glaubte ihm gerne, dass er nicht aus Pflichtgefühl gesprochen hatte.
Als Nächstes bestieg der Vorsitzende des Seniorenvereins mit Unterstützung seines Enkels das Podest - ein gebrechlicher Alter, der die achtzig schon lange hinter sich gelassen hatte. Die meiste Zeit schien er zu Hause im Bett zu verbringen und deshalb sah Ryōhei ihn zum ersten Mal. Nachdem sich der Alte kurz geräuspert hatte, wurde es schnell still auf dem Platz.
»Ich hör seit einer Weile nich’ mehr gut und weiß deshalb eigentlich nich’ genau, was in der Stadt so vor sich geht. Na ja, is’ vielleicht nich’ das Schlechteste … Du, Takeshi!«
Ogura schreckte auf wie vom Blitz getroffen.
»Als dein Vatter noch der Dorfälteste hier war, hat er mich zum Leiter der Dorfratsversammlung bestimmt. Das war’n großartiger Mann. Er war’s, der den Hafen hier hat bauen lassen. Ihm ham wir auch die Linienschiffe zu verdanken, die nach mühevollen Verhandlungen mit einer Reederei bei uns regelmäßig verkehren. Machst du deinem Vatter auch keine Schande mit deiner Arbeit?«
Ogura korrigierte seine Sitzhaltung und nickte mit leicht verkrampftem Gesicht.
»Na, dann is ja gut. Und du, Osamu!«
Nun war es Yagi, der sich blitzschnell gerade hinsetzte.
»Dein Vatter war leider unser politischer Gegner. Aber das war nix Persönliches. Im Gegenteil, ich hab ihn immer geachtet. Dein Vatter war’n engagierter Mensch. Wär er nich’ gewesen, hätten die andern Bauern die Insel schon vor langer Zeit verlassen. Er war’s, der die Viehwirtschft bei uns aufgebaut hat. Ich seh’ ihn heut noch vor mir, wie er mit’ner Hacke in der Hand bei glühender Hitze auf dem Feld schuftet. Osamu, hältst du auch das Andenken deines Vatters in Ehren?«
Yagi warf sich in die Brust und nickte eiftig.
»Na, dann is ja gut. Die Zeit von uns Alten ist jedenfalls zu Ende. Nun sollen die Jungen ran und tun, was sie glauben, dass richtig is.«
Alle hörten mit gesenktem Kopf zu. Bestimmt gab es viele, die durch diese Worte beschämt wurden.
»Sind Tokumoto und Iwata von den Wahlvereinen da? Wenn ja, dann soll’n se mal vorkommen.« Scheu kamen die Angesprochenen aus der Menge nach vorne. Beide, die sonst aufbrausende Direktoren ihrer Baufirmen waren, wirkten auf einmal steif wie Kaninchen vor einer Schlange.
»Ihr versprecht mir jetzt hier mit Handschlag, dass das ein fairer Kampf wird. Von Ogura und Yagi kann ich das eh nich’ erwarten, und deshalb macht ihr das als Stellvertreter.«
Unsicher taten die beiden, was der Alte von ihnen verlangte, während Ogura und Yagi ob dieser Schelte rot anliefen.
»Und jetzt alle Beifall!«
Nach einer Schrecksekunde klatschten die Anhänger beider Lager in die Hände, dass es über den ganzen Schulhof bis hin zum Wald widerhallte. Auch die Ehrengäste im Zelt erhoben
sich und spendeten Beifall. Es sah aus, als würde der Applaus kein Ende nehmen.
Ryōhei wurde es ganz heiß in der Brust. Egal wer heute gewinnen würde, um diese Insel brauchte er sich gewiss keine Sorgen zu machen. Auch wenn die Interessen unterschiedlich waren, sie alle liebten ihre Heimat.
Nachdem der Alte von der Bühne gestiegen war, kam Irabu mit einer Startpistole herauf, die er mit seiner Hand fest umschlossen hielt.
»Also dann, Leute, gleich geht’s looos! Alle gut vorbereitet?«,
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