Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu
Tokio
zur Untermiete wohnten, für diesen Wettkampf zurückgerufen hatte. Die Atmosphäre war geladen von ihrer jugendlichen Energie, und auch die Erwachsenen sahen fröhlich aus.
»Shunske, alles klar? Du holst übermorgen die Flagge für uns runter!«, feuerte ein Vater seinen Filius an, der mit angespanntem Gesicht nickte. Es war ein Anblick, der einem irgendwie zu Herzen ging.
Direktor Tokumoto kam zu ihnen und sang ein Loblied auf sein Team. »In der erntefreien Saison machen die Bauern Muskeltraining im Sportzentrum. Die Fischer machen uns keine Angst!«, meinte er mit stolzgeschwellter Brust. »Gell, Miyazaki, wenn du zurück in Tokio bist, erzählste denen von uns. Selbst im einundzwanzigsten Jahrhundert gibt es noch eine Insel, auf der Demokratie nix zählt.«
»Na, also wirklich …«
»Aber uns ist das recht. Wir wissen schon, wie wir damit umzugehen haben.«
»Ich verstehe Sie.« Ryōhei meinte, was er sagte. Er wollte die Menschen hier nicht mehr mit der Messlatte Tokios beurteilen. Diese Insel wusste selbst am besten, was gut für sie war. Senju war wie eine Wippe. An beiden Enden saß jemand und so blieb sie immer in Bewegung.
In einer Ecke stand Irabu und verschlang frisch zubereitete süße Reisbällchen.
»Herr Doktor, jetzt beherrschen Sie sich doch mal«, schalt ihn eine alte Dame.
Übermorgen fiel die Entscheidung.
Am Tag X war im Inselhafen die Hölle los. Als bekannt wurde, dass nach mehr als zehn Jahren wieder ein Stangenstürzen anstand, kamen die Menschen, die früher auf der Insel gelebt hatten, mit ihren Familien, um sich das Spektakel anzusehen. Auch
von den benachbarten Inseln reisten Verwandte und andere an. Die Bürgermeister der Nachbargemeinden waren als Ehrengäste geladen.
»Senju hat’s gut. Alle vier Jahre gibt’s hier’ne Unterhaltung, die der Olympiade in nichts nachsteht«, machte sich einer der Gäste lustig.
»Was issen das eigentlich für einer, dieser Doktor Irabu, der das Pflegeheim bauen lassen will?«, wollte ein anderer wissen.
»Sie müssen uns auch irgendwann einmal die Ehre geben«, baten die Bürgermeister einer nach dem anderen, worauf Irabu übermütig meinte: »Das hängt ganz davon ab, was Sie zu bieten haben, hehehe.«
Der Schulhof der Grundschule war überfüllt mit Zuschauern, und da immer mehr kamen, öffnete man das Schulgebäude. Nun standen in den Fenstern des ersten und zweiten Stocks die Menschen dichtgedrängt wie Weintrauben. Die beiden Fangruppen waren deutlich voneinander getrennt. Vor der Schule saßen rechts die Unterstützer von Ogura und links die von Yagi. Zwischen beiden Gruppen waren die Mitglieder des Seniorenvereins platziert.
Ryōhei und Mayumi waren offiziell Irabu als Assistenten zugeteilt. Die drei hielten sich in dem offenen Zelt der Wettkampforganisation auf. Die von Irabu ausgewählten Beobachter saßen ganz vorne, und in der Mitte thronten Ogura und Yagi in traditioneller japanischer Kleidung und würdigten sich keines Blickes. Mayumi rauchte mit übereinandergeschlagenen Beinen gelangweilt eine Zigarette. Auf ihrem Gesicht war deutlich zu sehen, wie dumm ihr das Ganze vorkam.
»Mayumi, was denken Sie über Senju?«, fragte Ryōhei.
»Was meinen Sie?«
»Würden Sie noch einmal herkommen, wenn Ihr Dienst beendet ist?«
Eine Weile schwieg Mayumi. Dann schüttelte sie ganz langsam den Kopf.
Na was soll’s. Von dieser Frau würde man nie eine klare Antwort bekommen.
Nachdem die Frauen nach alter Tradition Salz auf den Platz gestreut hatten, erschienen die Wettkämpfer in der Arena. Ryōhei war überwältigt von dem nun einsetzenden Applaus und den Rufen des Publikums, die die Erde dröhnen ließen. Es war eine ausgelassene Stimmung wie beim entscheidenden Kampf am letzten Tag eines Sumoturniers oder bei einem Rolling-Stones-Konzert.
»Ja nicht schlappmachen!«, rief eine Ehefrau ihrem Mann zu.
»Kenji, streng dich an!«, brüllte eine Mutter ihren Sohn an.
Von überall erschallten aufmunternde Zurufe. Bunte Fischerfahnen wurden geschwenkt, und Bohnen wirbelten als Glücksbringer durch die Luft.
Die Jungen und Männer waren alle in Fundoshi, japanischen Lendentüchern, und Tabi-Socken gekleidet. Am Oberkörper trugen sie Happi-Kittel. Die Ogura-Mannschaft erschien in Dunkelblau, das Yagi-Team in Hellbraun. Extra für diesen Tag hatten sich viele von ihnen einen Bürstenhaarschnitt machen lassen und sahen martialisch aus.
Diese archaisch anmutende Szenerie verusachte bei Ryōhei eine Gänsehaut. Er
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