Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu
Jahren gab’s hier jedes Jahr’n Sportfest. Um es gleich vorweg zu sagen. Das war nich so’n lascher Wettkampf wie der TV-Sängerwettbewerb am Jahresende. Bei uns ging’s richtig zur Sache, zwischen der Ogura- und der Yagi-Fraktion. Und der Hauptwettbewerb war Stangenstürzen«, erklärte Isoda mit verschränkten Armen.
»Richtig!«, ergänzte Muroi. »Und jedes Mal gab’s Schwerverletzte, so dass man nur von Glück sagen konnte, dass keiner ins Gras gebissen hat. Wir haben irgendwann einen Abgeordneten aus Tokio als unparteiischen Schiedsrichter engagiert, der das Ganze überwacht hat. Das Fest hat’ne über fünfzigjährige Geschichte. Im Moment steht’s 26:24 für Yagi.«
»Hey, du Lügenmaul. Es steht 25 zu 25. Gerade deswegen hat Ogura ja einen Schiedsrichter gefordert.«
»Isoda, warum verdrehst du denn die Tatsachen? Akzeptier die Vergangenheit, so wie sie war«, machte sich Muroi mit vorgeschobenen Kinn lustig über sein Gegenüber.
»Wer verdreht denn hier die Tatsachen?«, gab Isoda ärgerlich zurück.
»Sagen Sie, gibt es keine andere, etwas realistischere Möglichkeit, zu einer Entscheidung zu kommen?«, fragte Ryōhei.
»Ich finde das ausreichend realistisch.«
»Ich ebenfalls. Keine faulen Tricks, sondern’ne gradlinige Sache.«
Keiner von beiden machte Anstalten zurückzuweichen.
»Da haben Sie ja wieder was Schönes angerichtet …«, warf Ryōhei einen missbilligenden Blick auf Irabu.
Irabu schien wieder bessere Laune zu haben und trug eine überhebliche Miene zur Schau.
»Das war ja sozusagen eine göttliche Eingebung von Ihnen, Herr Doktor.«
»Ja, dasselbe hab ich auch gedacht.«
»Allein kann ich das aber nicht entscheiden. Erst muss ich mich mit den andern vom Wahlverein absprechen.«
»Ich werde sofort eine Dringlichkeitssitzung einberufen.«
Breitbeinig verließen Muroi und Isoda das Sprechzimmer. Ryōhei saß eine Weile sprachlos da. Stangenstürzen? Damit wurde entschieden, wen man wählte?
»Hervorragend. Endlich habe ich mit der Sache nichts mehr zu tun«, klopfte sich Irabu selbst auf die Schulter.
»Was reden Sie da! Wenn das wirklich mit Stangenstürzen entschieden werden sollte, dann ist das etwa so wie eine Schlacht! Und das in Zeiten der Demokratie!«
»Herr Miyazaki, Demokratie ist nicht immer der Weisheit
letzter Schluss. Die funktioniert tatsächlich nur in einem bestimmten Maßstab. Bei einer Bevölkerung von weniger als zehntausend ist es besser, wenn jemand wie ein Feudalherr die Geschicke einer Region leitet, hihihi.« Irabu war nun wieder vollständig obenauf und lachte sich ins Fäustchen.
Ryōhei dagegen war ratlos. Sein Blick fiel auf den Wandkalender. Bis zur Wahl waren es nur noch vier Tage.
9 ___
Es war unglaublich. Beide Lager waren auf ihren Sitzungen tatsächlich übereingekommen, das Recht für das Versprechen eines Altenpflegeheimes über einen Wettkampf im Stangenstürzen zu entscheiden. Obwohl, als Sitzung konnte man die Versammlung wohl nur bedingt bezeichnen. Tatsächlich waren beide Lager wohl in prächtiger Kampfesstimmung gewesen und viele Worte wurden bestimmt nicht gemacht:
»Knöpfen wir uns die vor?«
»Die soll’n nur kommen!«
In diesem Stil waren die Sitzungen wahrscheinlich abgelaufen.
»Nicht zu ändern. Wir befinden uns hier eben in einer Art Bürgerkrieg«, meinte Irabu, als ginge ihn das alles nichts an. Anscheinend hatte er schon vergessen, dass er es war, der Öl ins Feuer gegossen hatte. Seine Praxis war wieder geöffnet, und er verteilte erneut nach Herzenslust Spritzen an Jung und Alt.
Auch der Seniorenverein hatte keine Einwände gegen den Wettkampf.
»Das geht schon in Ordnung. Als ich jung war, hab ich auch immer mitgemacht. Beim alten Ogura in den Fünfzigerjahren
ham wir dreimal hintereinander gewonnen. Ich war damals Führer der Verteidigung.«
»Die Frauen ham den ganzen Tag Reis gekocht. Zehn Kilo waren da schnell verputzt.«
Mit verträumten Blicken erinnerten sich die Alten an damals, und im Wartezimmer wurde lebhaft über Strategien beim Stangenstürzen diskutiert.
Ryōhei machte diese ihm fremde Gedankenwelt zu schaffen. Vielleicht dachte die Hälfte der Erdbevölkerung so wie hier, überlegte er und blickte versonnen zum Himmel über der Insel. In dieser Welt würde es immer Kriege geben. Gleich welche zahllosen Tragödien sie auch zur Folge hatten, die Menschen zogen trotzdem hochgemut in die Schlacht.
Solange keiner stirbt, ist es ein Erfolg, hatte Irabu gesagt, und wenn man es so sah,
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