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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Monaten.«
    »Deshalb bin ich doch hergekommen.«
    »Dein Leben wird sich verändern, jetzt, da du sehen kannst.«
    Merle hielt es nicht mehr länger in ihrem Versteck. Ungeachtet aller Folgen sprang sie aus den Schatten hinaus ans Licht.
    »Was haben Sie mit ihr gemacht?«
    Arcimboldo schaute überrascht zu ihr herüber. Auch Junipa blinzelte. Angestrengt versuchte sie, etwas zu erkennen. »Merle?«, fragte sie.
    »Ich bin hier.« Merle trat neben Junipa und berührte sie sanft am Arm.
    »Ah, unser zweiter neuer Schüler.« Arcimboldo hatte sein Erstaunen rasch überwunden. »Ein ziemlich neugieriger Schüler, wie mir scheint. Aber das macht nichts. Morgen früh hättest du es ohnehin erfahren. Du bist also Merle.«
    Sie nickte. »Und Sie Arcimboldo.«
    »In der Tat, in der Tat.«
    Merle schaute von dem alten Spiegelmacher zurück zu Junipa. Die Erkenntnis dessen, was er getan hatte, traf sie unvorbereitet. Auf den ersten Blick und im schwachen Licht war ihr die Veränderung nicht aufgefallen, doch nun fragte sie sich, wie sie das hatte übersehen können. Eine eiskalte Hand schien ihren Rücken hinabzustreichen.
    »Aber… wie…«
    Arcimboldo lächelte stolz. »Beachtlich, nicht wahr?«
    Merle brachte kein Wort heraus. Stumm starrte sie Junipa an.
    In ihr Gesicht.
    Auf ihre Augen.
    Junipas weiße Augäpfel waren verschwunden. Stattdessen funkelten unter ihren Lidern silberne Spiegel, eingelassen in ihre Augenhöhlen. Nicht gerundet wie ein Augapfel, sondern flach. Arcimboldo hatte Junipas Augen durch die Splitter eines Kristallspiegels ersetzt.
    »Was haben Sie -«
    Arcimboldo fiel ihr sanftmütig ins Wort. »Ihr angetan? Nichts, mein Kind. Sie kann wieder sehen, zumindest ein wenig. Aber das wird sich von Tag zu Tag bessern.«
    »Sie hat Spiegel in ihren Augen!«
    »So ist es.«
    »Aber… aber das ist .«
    »Magie?« Arcimboldo zuckte die Achseln. »Manche mögen es so nennen. Ich nenne es Wissenschaft. Neben Mensch und Tier ist nur ein einziges anderes Ding auf der Welt in der Lage zu sehen. Schau in einen Spiegel, und er schaut zu dir zurück. Das ist die erste Lektion in meiner Werkstatt, Merle. Merk sie dir gut. Spiegel können sehen.«
    »Er hat Recht, Merle«, pflichtete Junipa ihm bei. »Ich kann tatsächlich etwas sehen. Und ich habe das Gefühl, dass es mit jeder Minute ein wenig mehr wird.«
    Arcimboldo nickte erfreut. »Das ist wunderbar!« Er ergriff Junipas Hand und veranstaltete mit ihr einen Freudentanz, gerade vorsichtig genug, um sie nicht von den Beinen zu reißen. Um sie herum stoben die letzten Reste der Rauchdecke auf. »Sag selbst, ist es nicht phantastisch?«
    Merle starrte die beiden an und konnte noch immer nicht recht glauben, was sich vor ihren Augen abspielte. Junipa, die seit ihrer Geburt blind gewesen war, konnte sehen. Dreizehn Jahre Finsternis hatten ein Ende. Und das hatte sie Arcimboldo zu verdanken, diesem schmächtigen Männlein mit dem wirren Haar.
    »Hilf deiner Freundin auf euer Zimmer«, sagte der Spiegelmacher, nachdem er Junipa losgelassen hatte. »Ihr habt morgen einen anstrengenden Tag vor euch. Jeder Tag in meiner Werkstatt ist anstrengend. Aber ich denke, es wird euch gefallen. Oh ja, das denke ich wirklich.«
    Er reichte Merle die Hand und fügte hinzu: »Willkommen in Arcimboldos Haus.«
    Ein wenig verdattert erinnerte sie sich an das, was man ihr im Waisenhaus eingehämmert hatte. »Vielen Dank, dass wir hier sein dürfen«, sagte sie artig. Aber sie hörte selbst kaum, was sie da von sich gab. Verwirrt schaute sie dem vergnügten alten Mann hinterher, der mit tänzelnden Schritten zurück in seine Werkstatt huschte und den Türflügel hinter sich zuzog.
    Zaghaft griff Merle nach Junipas Hand und half ihr die Treppen hinauf bis in den dritten Stock. Alle paar Schritte fragte sie besorgt, ob die Schmerzen auch wirklich nicht allzu schlimm seien. Immer wenn sich Junipa zu ihr umwandte, fröstelte Merle ein wenig. In den Spiegelaugen nahm sie dann nicht ihre Freundin wahr, sondern nur sich selbst, zweimal gespiegelt und leicht verzerrt. Sie tröstete sich damit, dass es gewiss nur eine Sache der Gewöhnung war, bis ihr Junipas Anblick als ganz normal erscheinen würde.
    Und dennoch, ein leiser Zweifel blieb. Vorher waren Junipas Augen blind und milchig gewesen. Jetzt waren sie kalt wie geschliffener Stahl.
    »Ich kann sehen, Merle. Ich kann wirklich sehen.«
    Junipa murmelte die Worte noch immer vor sich hin, als sie längst wieder im Bett lagen.
    Nur einmal, Stunden

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