Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin
Ring der Kriegsschiffe überquert.
» Geschafft!«, jubelte die Fließende Königin.
»War ja auch gelacht gewesen«, knurrte Vermithrax.
Nur Merle blieb ruhig. Erst nach einer Weile meldete sie sich wieder zu Wort. »Ist euch nichts aufgefallen?«
»Was meinst du?«, fragte der Löwe.
»Wie still es war.«
»Wir sind zu hoch geflogen«, sagte Vermithrax. »Geräusche dringen nicht so weit vor.«
»Doch, tun sie«, widersprach die Königin, ohne dass Vermithrax sie hören konnte. »Du hast Recht, Merle. Auf den Galeeren herrscht vollkommene Stille. Totenstille.«
»Du meinst -«
»Mumienkrieger. Die Schiffe sind mit lebenden Leichen besetzt. Genauso wie fast alle Kriegsmaschinen des Imperiums. Die Friedhöfe der eroberten Länder bieten den Priestern einen unerschöpflichen Vorrat an Nachschub. Die einzigen lebenden Männer an Bord sind die Hohepriester selbst und der Kapitän.«
Merle versank in tiefes Schweigen. Die Vorstellung all dieser Toten, die im Dienste des Pharaos kämpften, ängstigte sie ebenso sehr wie der Gedanke an das, was noch vor ihnen lag.
»Wohin fliegen wir?«, fragte sie nach ein paar Minuten. Sie hatten die Pharaonenarmee in weitem Bogen umrundet und schwebten endlich landeinwärts.
»Ich würde gerne meine Heimat wieder sehen«, brummte Vermithrax.
»Nein!«, sagte die Fließende Königin, und zum ersten Mal bediente sie sich dabei Merles Stimme. »Wir haben ein anderes Ziel, Vermithrax.«
Der Flügelschlag des Löwen wurde einen Moment lang unregelmäßig. »Königin?«, fragte er unsicher. »Seid Ihr das?«
Merle wollte etwas sagen, doch zu ihrem Entsetzen überlagerte der Wille der Fließenden Königin ihren eigenen und unterdrückte ihre Worte. Mit gläserner Schärfe wurde ihr bewusst, dass ihr Körper fortan nicht mehr allein der ihre war.
»Ich bin es, Vermithrax. Es ist lange her.«
»Das ist es, Königin.«
»Wirst du mir helfen?«
Der Löwe zögerte, dann nickte er mit seinem gewaltigen Obsidianschädel. »Das werde ich.«
»Dann hört zu, was ich zu sagen habe. Auch du, Merle. Mein Plan geht jeden von uns an.«
Und dann kamen Worte über Merles Lippen, die ihr selbst völlig fremd waren: Orte und Begriffe und immer wieder ein einzelner Name.
Lord Licht.
Sie verstand nicht, was es damit auf sich hatte, und war nicht einmal sicher, ob sie im Augenblick überhaupt mehr darüber wissen wollte. Derzeit konnte nichts sie verwirren, nichts sie erschüttern. Sie hatten den Belagerungsring durchbrochen, nur das zählte. Sie waren dem Zugriff der größten Armee entwischt, die die Welt je gesehen hatte. Merles Erleichterung war so überwältigend, dass alle düsteren Prophezeiungen und Pläne der Fließenden Königin von ihr abprallten, so als ginge es dabei gar nicht um sie selbst.
Ihr Herzschlag raste, als wollte er ihren Brustkorb sprengen, das Blut rauschte in ihren Ohren, und ihre Augen brannten vom Gegenwind. Egal. Sie waren entkommen.
Mehrmals schaute sie zurück, sah die Reihen der Galeeren und Schwärme der Sonnenbarken kleiner werden und schließlich ganz im Blau und Grau des Horizonts verschwimmen. Nur Sandkörner innerhalb einer Welt, die zu gewaltig war, um länger all das Unrecht, das die Ägypter ihr antaten, tatenlos mit anzusehen.
Es würde etwas geschehen, das konnte Merle mit einem Mal spüren. Etwas Großes, Phantastisches. Wie ein Blitzschlag überkam sie die Erkenntnis, dass dies alles erst der Anfang war. Nur ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was ihnen bevorstand.
Und ganz allmählich dämmerte ihr, dass das Schicksal ihr eine besondere Rolle in alldem zugedacht hatte. Ihr selbst und der Fließenden Königin, vielleicht sogar Vermithrax.
Obwohl die Königin immer noch durch sie sprach, obwohl ihre Lippen sich unaufhörlich bewegten und fremde Worte artikulierten, gestattete sich Merle den Luxus, die Augen zu schließen. Eine Ruhepause. Endlich. Sie wollte einfach einen Moment lang allein sein mit sich selbst. Fast war sie überrascht, dass es ihr gelang, trotz des Gastes, den sie beherbergte.
Dann erreichten sie das Festland und flogen über verdorrte Felder, kahle Bergrücken und verbrannte Dörfer, und für lange, lange Zeit sprach keiner von ihnen ein Wort.
Lord Licht, hallte es in Merles Gedanken nach. Sie hoffte, die Worte würden die Stimme in ihrem Inneren zu einer Reaktion, einer Erklärung provozieren.
Doch die Fließende Königin schwieg.
Merles Finger krallten sich tiefer in die Obsidianmähne des Löwen. Etwas, um sich
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