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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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ist wohl der Grund, warum ich all das hier aufgeschrieben habe.
    Heute Morgen habe ich schon wieder ein graues Haar an meiner Schläfe entdeckt. Charlotte ist neunzehn. Irgendwo.

Nur mal wieder das Ende der Welt

    Es war ein schlechter Tag. Ein Magenkrampf weckte mich. Ich lag in meinem Bett, nackt, und fühlte mich ziemlich schauderhaft. Irgendetwas an der Beschaffenheit des Lichts, langgezogen und metallisch, wie die Tönung einer Migräne, sagte mir, dass es Nachmittag war.
    Das Zimmer war im wahrsten Sinn des Wortes eiskalt. Die Innenseite des Fensters war mit einer dünnen Eiskruste überzogen. Die Laken waren zerknüllt und wiesen lange Risse auf. Das Bett war voller Tierhaare. Es juckte.
    Ich erwog, die ganze nächste Woche im Bett zu bleiben. Nach einer Verwandlung bin ich immer müde. Doch eine Welle der Übelkeit zwang mich, die zerfetzte Decke wegzustrampeln und hastig in das winzige Bad meiner Behausung zu stolpern.
    Der Krampf setze wieder ein, als ich die Badezimmertür erreichte. Ich hielt mich am Türrahmen fest, während mir der Schweiß ausbrach. Vielleicht hatte ich Fieber. Ich hoffte nur, ich hatte mir nicht irgendwas eingefangen.
    Der Krampf war ein scharfer Schmerz in meinen Eingeweiden und mir wurde schwindelig. Zusammengekrümmt fiel ich zu Boden und ehe ich den Kopf auf Toilettenhöhe heben konnte, fing ich an zu spucken.
    Ich erbrach eine übel riechende, dünne gelbe Flüssigkeit. Darin fanden sich eine Hundepfote – ich tippte auf Dobermann, aber ich versteh mich nicht besonders auf Hunde –, ein Stück Tomatenhaut, gewürfelte Karotten, Mais, einige halb zerkaute rohe Fleischbrocken und ein paar Finger. Es waren ziemlich kleine, bleiche Finger, offenbar die eines Kindes.
    »Scheiße.«
    Die Krämpfe ließen nach und die Übelkeit verebbte. Ich lag auf dem Boden, stinkender Geifer lief mir aus Mund und Nase und die Tränen, die man weint, wenn man sich übergeben muss, trockneten auf meinen Wangen.
    Als ich mich ein wenig besser fühlte, las ich die Pfote und die Finger aus der unappetitlichen Pfütze, warf sie in die Toilette und betätigte die Spülung.
    Ich drehte den Wasserhahn auf, spülte mir mit dem salzigen Innsmouth-Wasser den Mund und spuckte es aus. Dann wischte ich das restliche Erbrochene so gut ich konnte mit Waschlappen und Toilettenpapier auf. Schließlich stellte ich das Wasser der Dusche an und stand in der Wanne wie ein Zombie, während das heiße Wasser an mir herablief.
    Ich seifte mich ein, sowohl Körper als auch Haare. Der mickrige Schaum wurde grau, ich muss vollkommen verdreckt gewesen sein. Mein Haar war mit etwas verklebt, das sich wie getrocknetes Blut anfühlte, und ich bearbeitete es mit der Seife, bis alles weg war. Ich blieb unter der Dusche stehen, bis das Wasser eisig wurde.
    Unter der Tür lag eine Nachricht von meiner Wirtin. Sie besagte, ich schulde ihr seit zwei Wochen die Miete. Sie besagte weiter, alle Antworten stünden im Buch der Offenbarung. Und ich habe ziemlichen Lärm gemacht, als ich in den frühen Morgenstunden heimgekommen sei. Sie wäre mir ausgesprochen dankbar, wenn ich in Zukunft etwas leiser sein könnte. Und sie besagte, wenn die Älteren Götter aus dem Meer aufstiegen, dann würden alle Ungläubigen, aller Abschaum dieser Erde, all das menschliche Treibgut, alle Taugenichtse und Schmarotzer hinweggefegt und die Welt werde gereinigt mit Eis und tiefem Wasser. Und schließlich wolle sie mich daran erinnern, dass sie mir bei meinem Einzug ein Fach im Kühlschrank zugewiesen habe, auf das ich mich in Zukunft doch bitte beschränken möge.
    Ich zerknüllte den Zettel und warf ihn zu Boden. Er landete zwischen einer Big-Mac-Schachtel, einem leeren Pizzakarton und einem vertrockneten, schrumpeligen Stück Pizza.
    Es wurde Zeit, zur Arbeit zu gehen.
    Ich war seit zwei Wochen in Innsmouth und ich konnte es nicht leiden. Es roch fischig. Man fühlte sich eingepfercht in dieser kleinen Stadt: ein Sumpfgebiet im Osten, Klippen im Westen und in der Mitte ein Hafen mit ein paar halb verrotteten Fischerbooten. Nicht einmal bei Sonnenuntergang war es hier malerisch. Trotzdem waren die Yuppies in den Achtzigern nach Innsmouth gekommen und hatten die pittoresken Fischerhäuschen mit Blick auf den Hafen erworben. Seit ein paar Jahren waren die Yuppies verschwunden und die Häuschen an der Bucht lagen verlassen und verfielen.
    Die Einwohner von Innsmouth lebten hier und da über die Stadt verteilt und in den Caravansiedlungen, die sie umringten;

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