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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Charlotte. Ihr Haar war vielfarbig, ihre Lippen so tiefrot, als habe sie Brombeeren gegessen. Sie lag auf einem Satinlaken mit einer Juwelenmaske auf dem Gesicht und einer Hand zwischen den Beinen, ekstatisch, orgastisch, alles, was ich mir je erträumt hatte: Charlotte.
    Sie firmierte unter dem Namen Titania und war in Pfauenfedern gehüllt. Die kleinen schwarzen Buchstaben, die wie Insekten um ihre Bilder herumkrochen, besagten, sie arbeite in einem Maklerbüro im Süden. Sie mochte sensible, ehrlich Männer. Sie war neunzehn.
    Und Gott verflucht, sie sah aus wie neunzehn. Und ich war abgebrannt und arbeitslos wie über eine Million andere und hatte nichts erreicht.
    Ich verkaufte meine Plattensammlung, meine Bücher, meine Penthouse -Sammlung bis auf vier Ausgaben, den Großteil meiner Möbel und erstand eine einigermaßen gute Kamera. Dann rief ich all die Fotografen an, mit denen ich zu tun hatte, als ich fast ein Jahrzehnt zuvor in der Werbung gearbeitet hatte.
    Die meisten erinnerten sich nicht an mich oder behaupteten das zumindest. Und selbst die, die sich erinnerten, waren nicht scharf auf einen eifrigen Assistenten, der nicht mehr jung war und keinerlei Erfahrung hatte. Aber ich versuchte es weiter und irgendwann landete ich bei Harry Bleak, einem silbermähnigen alten Knaben mit seinem eigenen Studio in Crouch End und einer Schar kostspieliger kleiner Liebhaber.
    Ich erklärte ihm, was ich wollte. Er nahm sich nicht einmal eine Sekunde zum Nachdenken, sondern sagte: »Sei in zwei Stunden hier.«
    »Kein Pferdefuß?«
    »In zwei Stunden. Das ist alles.«
    Ich war da.
    Im ersten Jahr machte ich das Studio sauber, malte Kulissen und klapperte die umliegenden Geschäfte und Straßenhändler ab, um Requisiten zu borgen, zu schnorren oder zu kaufen. Im nächsten Jahr durfte ich bei der Beleuchtung helfen, Objekte arrangieren, Rauch und Trockeneis herumwedeln und Tee kochen. Das ist übertrieben. Ich habe nur ein einziges Mal Tee gekocht, denn mein Tee schmeckt fürchterlich. Aber ich lernte unglaublich viel über Fotografie.
    Und plötzlich war 1981, die Welt war »New Romantic« und ich war fünfunddreißig und spürte jede einzelne Minute dieser Jahre. Bleak bat mich, das Studio ein paar Wochen zu hüten, während er zu einem Monat wohlverdienter Ausschweifungen nach Marokko aufbrach.
    In diesem Monat war sie wieder im Penthouse . Züchtiger, strenger als beim Mal zuvor, erwartete sie mich zwischen Werbeanzeigen für Stereoanlagen und Scotch. Jetzt hieß sie Dawn, aber es war immer noch meine Charlotte, mit Nippeln wie Blutstropfen auf ihrer gebräunten Brust, dem dunklen, lockigen Büschel zwischen ihren kilometerlangen Beinen, aufgenommen an irgendeinem Strand. Sie war erst neunzehn, stand da. Charlotte. Dawn.
    Harry Bleak kam auf der Heimreise von Marokko ums Leben: ein Bus fiel auf ihn.
    Das war eigentlich nicht witzig. Er war auf der Autofähre von Calais und hatte sich in den Fahrzeugraum hinabgeschlichen, um seine Zigarren zu holen, die er im Handschuhfach seines Mercedes vergessen hatte.
    Die See war rau und ein Touristenbus (der einer Genossenschaft in Wigan gehörte, wie ich den Zeitungen und dem ausführlichen Bericht des in Tränen aufgelösten Liebhabers entnahm) war nicht richtig gesichert. Harry wurde zwischen dem Bus und seinem silbernen Mercedes zerquetscht.
    Er hatte auf dem Lack nie ein Stäubchen geduldet.
    Als das Testament eröffnet wurde, fand ich heraus, dass der alte Bastard mir das Studio vermacht hatte. In dieser Nacht weinte ich mich in den Schlaf, war eine Woche lang sternhagelvoll und dann übernahm ich das Geschäft.
    Seither hat sich allerhand ereignet. Ich habe geheiratet. Es hat drei Wochen gehalten, dann zogen wir einen Schlussstrich. Ich schätze, ich bin einfach kein Typ zum Heiraten. Ich wurde mal spät nachts in einem Zug von einem besoffenen Schotten zusammengeschlagen und die anderen Fahrgäste taten so, als wär nichts. Ich kaufte mir zwei Schildkröten und ein Terrarium, brachte sie in die Wohnung über dem Studio und nannte sie Rodney und Kevin. Ich wurde ein einigermaßen guter Fotograf. Ich machte Kalender, Werbeaufnahmen, Mode- und Aktfotografie, kleine Kinder und große Stars – alles, was kam.
    Und an einem Frühlingstag im Jahr 1985 begegnete ich Charlotte.
    Ich war allein im Studio an diesem Donnerstagmorgen, unrasiert und barfuß. Es war ein Tag ohne Termine und ich wollte ihn damit verbringen, gründlich sauber zu machen und die Zeitungen zu lesen. Ich

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