Die Messerknigin
Dinge.
Ich ging zwei Blocks die Marsh Street hinunter – wie ganz Innsmouth eine unansehnliche Mixtur aus amerikanischer Gotik des achtzehnten Jahrhunderts, hässlichen Sandsteinhäusern aus dem späten neunzehnten und grauen Fertigbaukästen des späten zwanzigsten Jahrhunderts – bis ich zu einer ehemaligen Hähnchenbude mit verbarrikadierten Fenstern gelangte. Ich ging die Steintreppe neben dem Laden hinauf und öffnete die rostende Sicherheitstür.
Auf der anderen Straßenseite war ein Spirituosenladen, eine Wahrsagerin residierte im ersten Stock darüber.
Jemand hatte mit schwarzem Marker Graffiti auf die Metalltür geschmiert: K repier doch , stand da. Wenn das so einfach wäre.
Die Treppe war aus nacktem Holz, der fleckige Putz blätterte von den Wänden. Am oberen Treppenabsatz lag mein Büro, das nur aus einem einzigen Raum bestand.
Ich bleibe nie irgendwo lange genug, um meinen Namen in Messing an irgendwelchen Glastüren anzubringen; handgeschriebene Blockbuchstaben auf einem Stück Pappe an der Tür reichen völlig.
LAWRENCE TALBOT
REGULATOR
Ich schloss die Tür auf und trat ein.
Ich inspizierte mein Büro und Worte wie schäbig , runtergekommen und verwahrlost gingen mir durch den Kopf und gaben dann auf, weil sie hoffnungslos unzureichend waren. Es war wirklich nicht besonders einnehmend: ein Schreibtisch, ein Bürostuhl, ein leerer Aktenschrank, ein Fenster mit einem atemberaubenden Ausblick auf den Spirituosenladen und die verlassene Residenz der Wahrsagerin. Der Geruch nach altem Bratfett stieg von unten auf. Ich fragte mich, wie lange die Hähnchenbude wohl schon verrammelt war, und stellte mir ein Heer schwarzer Kakerlaken vor, das in der Dunkelheit unter mir herrschte.
»Dieses Bild, an das Sie da denken, beschreibt den Zustand der Welt«, sagte eine tiefe Stimme, so tief, dass ich sie in der Magengrube spürte.
In einer Ecke des Büros stand ein alter Sessel. Die Überreste eines Musters waren unter der Patina aus Alter und Fettschmiere schwach erkennbar. Der Sessel hatte die Farbe von Staub.
Der fette Mann, der mit fest geschlossenen Augen in dem Sessel saß, fuhr fort: »Voller Verwirrung betrachten wir unsere Welt, mit einem Gefühl der Unruhe. Wir halten uns für Gelehrte geheimer Liturgien, einzelne Männer gefangen in einer Welt, die sich unserem Einwirken entzieht. Doch die Wahrheit ist viel simpler: Es gibt Wesen in der Finsternis unter uns, die uns Übles wünschen.«
Sein Kopf fiel auf die Rückenlehne und seine Zungenspitze erschien in seinem Mundwinkel.
»Lesen Sie meine Gedanken?«
Der Mann im Sessel atmete tief und langsam. Es rasselte hinten in seiner Kehle. Er war wirklich unglaublich fett, hatte Stummelfinger wie farblose Würste. Er trug einen dicken alten Mantel, der wohl einmal schwarz gewesen, jetzt aber zu einem unbestimmten Grau verschossen war. Der Schnee an seinen Stiefeln war noch nicht ganz geschmolzen.
»Vielleicht. Das Ende der Welt ist ein seltsamer Begriff. Die Welt endet immerzu und immerzu wird das Ende abgewendet. Durch Liebe oder Trotteligkeit oder schlicht und einfach durch Glück.
Na ja. Jetzt ist es zu spät. Die Älteren Götter haben ihre Gefäße erkoren. Wenn der Mond aufgeht …«
Ein dünner Speichelfaden lief ihm aus dem Mund und rann silbrig zum Kragen hinab. Irgendetwas huschte aus dem Kragen in die Schattenwelt unter dem Mantel.
»Ja? Was passiert, wenn der Mond aufgeht?«
Der Mann im Sessel regte sich, öffnete zwei kleine Äuglein, rot und verquollen. Er blinzelte verschlafen.
»Ich habe geträumt, ich hätte eine Unzahl von Mündern«, sagte er, seine neue Stimme seltsam dünn und brüchig für einen so voluminösen Mann. »Ich träumte, jeder dieser Münder öffnete und schloss sich unabhängig von den anderen. Manche sprachen, manche flüsterten, andere aßen, wieder andere warteten schweigend.«
Er sah sich um, wischte den Speichel von seinen Lippen, setzte sich auf und blinzelte verwirrt. »Wer sind Sie?«
»Ich bin der Mann, der dieses Büro gemietet hat«, sagte ich ihm.
Er rülpste plötzlich laut. »Entschuldigung«, sagte er mit seinem dünnen Stimmchen und erhob sich schwerfällig aus dem Sessel. Im Stehen war er ein Stück kleiner als ich. Immer noch schlaftrunken sah er an mir hinab. »Silberkugeln«, verkündete er nach einem kurzen Schweigen. »Altmodische, aber verlässliche Methode.«
»Sicher. Das ist so was von offensichtlich … Vermutlich bin ich deswegen nicht drauf gekommen. Verdammt, ich
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