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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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er. Sie steckte die Schlinge in die Öffnung und drehte sie hin und her. Er zuckte vor Schmerz zusammen. Sie streifte den Abstrich auf ein Glasplättchen. Dann wies sie auf ein Glasgefäß auf einem Regal. »Ich brauche eine Urinprobe. Können Sie mir das vollmachen, bitte?«
    »Von hier aus?«
    Sie verzog den Mund. Simon vermutete, dass sie den Scherz jeden Tag dreißigmal hörte, seit sie hier angefangen hatte.
    Sie ging aus dem Behandlungszimmer und ließ ihn zum Pinkeln allein.
    Auch unter günstigeren Bedingungen fand Simon es meist schwierig zu pinkeln und musste oft warten, bis alle Leute verschwunden waren. Er beneidete die Männer, die ganz locker in eine Herrentoilette spaziert kamen, den Reißverschluss aufzogen und sich fröhlich mit ihrem Nachbarn am nächsten Becken unterhielten, während ihr gelber Strahl auf weiße Keramik plätscherte. Oft konnte er gar nicht.
    Er konnte auch jetzt nicht.
    Die Schwester kam zurück. »Klappt’s nicht? Ist nicht schlimm. Nehmen Sie noch mal im Wartezimmer Platz, der Doktor ruft Sie gleich auf.«
    »Nun«, sagte Dr. Benham. »Sie haben USU. Unspezifische Urethritis.«
    Simon nickte und fragte dann: »Was bedeutet das?«
    »Es bedeutet, dass Sie keine Gonorrhö haben, Mister Powers.«
    »Aber ich hatte seit Ewigkeiten keinen Sex mit jemand anders, nicht seit …«
    »Oh, das hat nichts zu bedeuten. Es kann ganz spontan auftreten, auch ohne dass Sie sich vorher … was Besonderes gegönnt haben.« Benham öffnete seinen Schreibtisch und holte ein Fläschchen mit Tabletten heraus. »Nehmen Sie viermal täglich eine hiervon vor den Mahlzeiten. Kein Alkohol, kein Sex und trinken sie zwei Stunden nach Einnahme der Tabletten keine Milch. Alles klar?«
    Simon grinste nervös.
    »Kommen Sie nächste Woche wieder. Unten wird man Ihnen einen Termin geben.«
    Unten bekam er ein rotes Kärtchen mit seinem Namen und dem neuen Termin. Außerdem trug es die Nummer 90/00666.L.
    Simon ging durch den Regen nach Hause. Am Schaufenster eines Reisebüros blieb er stehen. Das Poster zeigte einen sonnenbeschienenen Strand und drei braun gebrannte Frauen in Bikinis mit Longdrinks in den Händen.
    Simon war noch nie im Ausland gewesen.
    Die Vorstellung flößte ihm Angst ein.
    Im Laufe der Woche klangen die Schmerzen ab und nach vier Tagen konnte Simon urinieren, ohne zusammenzuzucken.
    Doch dafür passierte etwas anderes.
    Es begann als winziger Samen, der in seinem Kopf keimte und zu wachsen begann. Beim nächsten Termin erzählte er Dr. Benham davon.
    Der Arzt schien verwirrt.
    »Sie sagen, Sie haben das Gefühl, Ihr Penis sei nicht mehr Ihrer, Mister Powers?«
    »So ist es, Doktor.«
    »Ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht ganz folgen. Haben Sie dort ein Taubheitsgefühl? Hat die Sinneswahrnehmung der Haut nachgelassen?«
    Simon konnte seinen Penis in der Hose fühlen, spürte Stoff auf Fleisch. In der Dunkelheit fing er an, sich zu regen.
    »Keineswegs. Ich kann alles spüren so wie immer. Er fühlt sich nur … na ja, anders an, schätze ich. So als wäre er nicht mehr Teil von mir. Als ob …« Er unterbrach sich kurz. »Als gehörte er jemand anderem.«
    Dr. Benham schüttelte den Kopf. »Um Ihre Fragen zu beantworten, Mister Powers: Das ist kein Symptom von USU, doch es ist eine vollkommen nachvollziehbare psychologische Reaktion für jemanden, der sich USU zugezogen hat. Eine Art, ähm, Ekel vor sich selbst, vielleicht, den Sie als Ablehnung ihrer Geschlechtsorgane externalisieren.«
    Das klingt ungefähr richtig , dachte Dr. Benham. Er hoffte, er hatte das Fachchinesisch richtig hinbekommen. Er hatte psychologischen Vorlesungen und Lehrbüchern nie viel Aufmerksamkeit geschenkt, was vielleicht der Grund war, behauptete seine Frau, warum es ihn in eine Londoner Klinik für Geschlechtskrankheiten verschlagen hatte.
    Powers schien halbwegs beruhigt.
    »Ich hab mir nur Gedanken gemacht, Doktor.« Er kaute auf seiner Unterlippe. »Ähm, was genau ist eigentlich USU?«
    Benham lächelte beruhigend. »Es könnte alles Mögliche sein. USU ist einfach unser Ausdruck dafür, dass wir nicht genau wissen, was Sie sich zugezogen haben. Es ist nicht Gonorrhö. Es ist auch kein Schanker. ›Unspezifisch‹ eben, verstehen Sie? Es ist eine Infektion und sie spricht auf Antibiotika an. Da fällt mir ein …« Er öffnete die Schreibtischschublade und entnahm eine neue Wochenration.
    »Machen Sie unten einen neuen Termin für nächste Woche. Kein Sex. Kein Alkohol.«
    Kein Sex? dachte Simon.

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