Die Monster von Templeton
Brand und zog sich mit den Worten nach Hawaii zurück: «Wenn Kunst kein Ungeheuer überleben kann, ist etwas schiefgegangen.»
Über Flimmy, das Ungeheuer aus dem Flimmerspiegelsee, oder:
Templetonia Portentum
Bei dem Ungeheuer aus unserem See, hieß es in dem Artikel, handele es sich laut DNA-Analyse um ein plazentales Säugetier aus der Überordnung Cetariodactyla, derselben Ordnung, zu der auch die Paarhufer (Schweine, Flusspferde, Hirsche) und die Cetacea (Wale und Delfine) gehören.[ 2 ] Doch hier endet bereits die Ähnlichkeit mit Schweinen, Hirschen und Walen, denn offensichtlich handelte es sich bei unserem Ungeheuer um einen synchronen Hermaphroditen[ 3 ], noch dazu einen sich selbst befruchtenden.Das einzige andere Tier, das wir kennen und das sich ebenfalls selbst befruchtet, ist ein Fisch namens Zehenkärpfling, weshalb die wissenschaftliche Welt bei der Entdeckung eines Säugetiers, das zu derlei Dingen in der Lage war, förmlich aus den Latschen kippte.
Bei der Analyse der Knochen stellte sich heraus, dass unser Monster über zweihundert Jahre alt war, und der winzige Fötus eines Babys, der in seinem höhlenartigen Körper gefunden wurde, deutete darauf hin, dass die Trächtigkeit etwa zwanzig Jahre dauerte. Zwanzig Jahre! Der kleine Fötus war bereits zehn Jahre in der Entwicklung begriffen und hatte nicht einmal Augen; er besaß die Größe eines sechsjährigen Kindes, und trotz seines Schwanzes und des überlangen Halses hatten sein Schmerbauch und die geballten Fäustchen etwas so unheimlich Menschliches, dass eine der Wissenschaftlerinnen, die Mutter eines autistischen Jungen, in Tränen ausbrach, als man den Fötus aus dem geöffneten Bauchraum des Tieres zog. Weitere Beweise, die die Wissenschaftler fanden, führten zu der These, dass das Ungeheuer bereits mindestens einmal ein Kind zur Welt gebracht hatte. Es wurde hektisch telefoniert, und am nächsten Tag versuchten Taucher bis zum Grund des Sees vorzustoßen, was ihnen jedoch nicht gelang. Man ordnete Tiefseetauchgeräte an, doch alles war vergebens. Zu diesem Zeitpunkt entdeckte man auch, dass Flimmys Brustwarzen zum größten Teil nur optische Funktion hatten und sich auch keine Milchdrüsen dahinter versteckten; sozusagen Potemkinsche Brüste.
Zudem hatte das Ungeheuer steinharte, schwarze Zähne, dieflach und nicht zugespitzt waren und in drei Reihen angeordnet waren, damit es besser die Fische und das Seegras kauen konnte, von denen es sich ernährte. Es hatte riesige, reservoirartige Lungen, in denen es drei Monate lang Sauerstoff speichern konnte, sodass es nur viermal im Jahr auftauchen musste, um zu atmen. Außerdem verfügte es über ein so dichtes Fettgewebe, dass Pottwale dagegen geradezu Leichtgewichte sind; eine Unze reinen Flimmy-Fetts brannte, so die Wissenschaftler, bis zu fünfzehn Stunden, und die geringe Menge Rauch, die dabei entstand, duftete ganz seltsam frisch, wie Kiefern und Seewasser. Es muss solch eine intensive Fettschicht benötigt haben, denn die Winter waren schrecklich unter der dicken Eisschicht des Flimmerspiegelsees, und es war ein großer Körper, den es warm zu halten galt.
Außerdem hatte Flimmy vier seltsam geformte Hände, die genauso aussahen wie die eines Menschen, allerdings ohne Daumen. Tatsächlich waren sie so zart und schön, dass der Künstler, der den Auftrag erhielt, alle Teile des Tieres genau zu zeichnen, sich zu dem Tier schlich, nachdem die Wissenschaftler sich zu einem Nickerchen hingelegt hatten, und heimlich Gipsabdrücke von den Händen machte, um sie weiter zu studieren, wobei er einen Bulldozer einsetzen musste, um sie auf die Ladefläche seines Trucks zu hieven. Obwohl das Ungeheuer nie außerhalb des Sees gesichtet wurde, war es offensichtlich durchaus in der Lage, sich an Land fortzubewegen, obwohl die Wissenschaftler davon ausgehen, dass es ab einem bestimmten Punkt in seinem Leben – nach etwa 100 bis 150 Jahren – bei Weitem zu schwierig gewesen sein dürfte, einen solch gewaltigen Körper außerhalb des Wassers fortzubewegen, weshalb das Ungeheuer es vermutlich vorzog, ausschließlich im Nassen zu bleiben, wo ihm der Auftrieb zugute kam.
Im Unterschied zu einem Wal besaß Flimmy ein Gehörknöchelchenim Ohr und verfügte, so die Hypothese der Wissenschaftler, mit dieser besonders feinen Innenohrausstattung über das wahrscheinlich reinste und breit gefächertste Unterwassergehör, das irgendein Tier auf der Welt haben kann. Das hatte dem scheuen Tier auch dabei
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