Die Monster von Templeton
Toilette handelte, wie Sol der Fünfte Vi erklärte, als wäre sie ein Kind –, es komme ums Verrecken nicht infrage, dass sie dieses Anwesen irgendeinem zwielichtigen Bauunternehmer verkaufe, denn offen gesagt sei es die ideale Location für ein Einkaufszentrum, und er würde den Teufel tun und zulassen, dass es in Templeton ein Einkaufszentrum gebe, auf keinen Fall. Deshalb sei Sol nun hier, und er schwor, er würde jedes Angebot toppen, das gemacht wurde, nur um zu verhindern, dass ihnen jemand das Anwesen vor der Nase wegschnappte.
«Oh», machte Vivienne und schaute dabei zu, wie der See in der Abendsonne ein schimmerndes Grau annahm. Sie saß bibbernd auf ihren Händen und sehnte sich danach hineinzugehen, aber ihr Gast war gerade erst in Fahrt gekommen und schien sich an der Kälte überhaupt nicht zu stören. Mittlerweile hatte Sol eine radikale Kursänderungvorgenommen und begann Vivienne von seiner Familie zu erzählen. Sie wusste, dass die Falconers am Ort zu den großen Tieren gehörten, hatte jedoch keinen blassen Schimmer davon, dass sie zu den ursprünglichen Siedlern von Templeton gehört hatten und Solomon Falconer der Erste damals gleich zu Beginn mit Marmaduke Temple hierhergekommen war, als dieser das Land erschlossen und verpachtet hatte.
«Manche sagen», flüsterte der arme, beschwipste Sol, «dass Marmaduke sogar etwas mit irgendeinem Indianermädchen gehabt hätte und dass die beiden ein Mädchen bekommen hätten, das dann der erste Solomon Falconer zur Frau nahm. Haben Sie verstanden? Marmadukes uneheliche Tochter heiratete damals Sol den Ersten. Das ist natürlich alles ein großes Geheimnis, aber wenn es stimmt, bin ich ebenso mit den Temples verwandt wie Sie. Ist das nicht aufregend?» Er legte den Finger an die Lippen und pustete, um ihr die Bedeutung dieses Geheimnisses klarzumachen. Vi, die auf einmal wieder munter wurde, schenkte ihm ein breites Lächeln und nickte.
Sol fuhr fort und erzählte, die Familie Falconer sei in der Geschichte berühmt dafür, dass die Männer erst spät heirateten und bloß einen Sohn in die Welt setzten. Nur fünf Generationen von sehr alten Solomon Falconers mit sehr jungen Ehefrauen lägen zwischen ihm und dem Urahn. Ursprünglich hätten sie sich als Farmer oben an der West Lake Road betätigt, bis Euphonia Falconer, die damals bereits hochbetagt war, auf die brillante Idee gekommen war, Hopfen anzupflanzen. Ende des neunzehnten Jahrhunderts seien die Falconers die Hauptarbeitgeber der Stadt gewesen und hätten sogar an der West Lake Road, direkt unterhalb ihres Familienanwesens, das immer noch dort stand, über dreitausend Saisonarbeiter in einer Siedlung untergebracht (die folglich wesentlich größer war als das eigentliche Templeton!), Hopfenstadt genannt. Dort gab es einen Barbier, einen Metzger, einen Tanzsaal, einen Krämerladen, einen Schmied, eine Bäckerei, jede Menge Langhäuser mit Schlafsälen und so weiter und so fort.
«Oh», machte Vivienne und stellte sich vor, wie die Hügel voller vier Meter hoher Hopfenstangen ausgesehen haben mochten, die sich in der Augusthitze langsam buttrig und golden verfärbten.
Der würzige Duft nach Hopfen, den sie verströmten.
Ein Mann, der auf einer Maultrommel spielte und zwischen den halbschattigen Reihen hindurchwanderte.
Wie auch immer, begann Sol mit weindicker Zunge zu berichten, habe es dann für etwa fünf Jahre hintereinander eine Überproduktion an Hopfen gegeben, die Preise fielen dramatisch, irgendwann kam es zu einer Dürrekatastrophe, dann folgte die große Depression, und das Familienvermögen war wieder einmal fast komplett futsch gewesen. Und als dann Solomon Falconer der Vierte (sein Vater) die Idee gehabt hatte, ausgerechnet in Wisconsin eine Brauerei aufzumachen, und diese zum Erfolg geworden war, hatte niemand mehr in Templeton Hopfen angepflanzt außer vor dem Bauernmuseum draußen in der alten Scheune der Franklins. Sol der Fünfte war in diesem Sommer deshalb in Templeton, weil er schon sein ganzes Leben in die Stadt verliebt sei.
«Sie verändert sich einfach nie, oder?», schwärmte er, die Augenlider schwer vom Alkohol. «Einfach nicht totzukriegen.»
«Oh», machte Vivienne, die mittlerweile zitterte wie Espenlaub. All dieses Gerede hatte sie in Hochstimmung versetzt; so lange hatte sie keine normale Unterhaltung mehr gehabt, seit sie zu Hause war. Es war köstlich, eine Erleichterung. Abgesehen davon wollte sie endlich raus aus der Kälte. Sie legte eine Hand auf
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